WUPPERTAL (bgl) – Hat die vor dem Landgericht Wuppertal angeklagte Solingerin im September 2020 in der Wohnung an der Hasselstraße ihre Kinder umgebracht? Die Staatsanwaltschaft beantwortet diese Frage ganz klar mit Ja, unterstrich am Dienstag bei der Fortsetzung des Mordprozesses gegen die 28-Jährige Anklagevertreter und Staatsanwalt Heribert Keune-Gebhardt. In seinem Plädoyer fasste er noch einmal zusammen: Die fünf Kinder wurden am 3. September 2020 morgens von der Polizei tot in der Wohnung aufgefunden (wir berichteten). Gestorben waren sie aufgrund der Gabe von Medikamenten und einer ergänzenden Erstickung bzw. Ertränkung.
„Angeklagte lebte in einer Fassadenwelt“
Aus Sicht der Staatsanwaltschaft könne auch keine Rede von jenem unbekannten und in schwarz gekleideten Mann sein, den die Angeklagte im Gespräch mit einer psychiatrischen Gutachterin für die Kindstötungen verantwortlich gemacht hatte. „Gegen die Anwesenheit eines Fremden sprechen viele Dinge, zunächst die Ansprache ,Nele´ und der Wille des Unbekannten, ihr Leben zerstören zu wollen“, zeigte Heribert Keune-Gebhardt auf. Derartiges habe sich nicht nachweisen lassen. Die Ermittlungen gaben keine Hinweise auf den Kontakt über ein Dating-Portal, in dem sich die Angeklagte als „Nele“ angemeldet haben wollte. Nachbarn beschrieben, dass die Angeklagte zurückgezogen und in ihrer Mutter- und Familienrolle gebunden gewesen sei. „Wenn der Unbekannte die Adresse rausgefunden hätte, dann hätte er auch den richtigen Namen gekannt“, betonte die Staatsanwaltschaft.
Vielmehr sei die Angeklagte stets auf eine „heile Familie“ bedacht, die für sie ein Zufluchtsort gewesen sei. Diese Welt brach spätestens dann zusammen, als sich ihr Ehemann – und Vater von vier der insgesamt sechs Kindern – von ihr distanzierte und eine neue Beziehung einging. „Sie lebte in einer Art Fassadenwelt“, so Staatsanwalt Kaune-Gebhardt. Gutachter und Psychologen attestierten der 28-Jährigen narzisstische Züge und eine vollkommene Emotionslosigkeit. Und als jene Fassade in sich zusammenbrach, spielten auch die Kinder keine Rolle mehr.
Feststellung der besonderen Schwere der Schuld
Dafür würden auch die Chat-Nachrichten sprechen, die die Angeklagte am Tattag an den Vater der vier Kinder schickte. Diese gipfelten in einer Aussage, dass sie ohne ihn nicht leben könne, die Kinder schon „oben“ seien und die Angeklagte dorthin ebenfalls folgen würde. Im Düsseldorfer Hauptbahnhof warf sie sich später am Tattag vor einen einfahrenden Zug, die Ermittler vermuten einen Suizidversuch.
Die Staatsanwaltschaft beantragte wegen fünffachen Mordes eine lebenslange Freiheitsstrafe und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Das Merkmal der Heimtücke sei zudem erfüllt, denn die Sedierung sei in der gezielten Absicht erfolgt, die Kinder zu töten. Die Medikamentengabe sei unauffällig geschehen, die Kinder waren sich eines Angriffes nicht bewusst und verließen sich auf die mütterliche Fürsorge. Eine verminderte Schuldfähigkeit der Solingerin liege nicht vor. Die Anwälte der beiden Nebenkläger schlossen sich den Ausführungen der Staatsanwaltschaft an.
Verteidigung beantragt acht Jahre Gesamtfreiheitsstrafe
Rechtsanwalt Thomas Seifert sah das naturgemäß in seinem Plädoyer anders. Er erwartet eine Indizienentscheidung der Schwurgerichtskammer. „Wir können nur hoffen, dass das Gericht die richtigen Indizien wertet“, so der Anwalt der Angeklagten, der noch immer von einer Persönlichkeitsstörung seiner Mandantin ausgeht. Die Angeklagte hat sich während der seit einem halben Jahr laufenden Verhandlung nicht zu den Tatvorwürfen geäußert und bis zuletzt geschwiegen. Auch nach den Plädoyers blieb sie abschließend erklärende Worte schuldig. Der Verteidiger beantragte eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und darüber hinaus die Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung.
Das Gericht hat den morgigen Verhandlungstag aufgehoben. Am Donnerstag wird die Verhandlung um 10 Uhr fortgesetzt und das Urteil gegen die Angeklagte Solingerin gesprochen. Wir werden berichten.