SOLINGEN (bgl) – Wenn in Solingen ein ukrainischer Flüchtling nicht weiß, wohin er soll, wenn ein Formular unverständlich ist oder ein Amt nicht reagiert, landet die Anfrage oft bei ihm: Stanislav „Stan“ Krasnokutskiy. Der 47-Jährige lebt seit 1999 in Solingen und ist heute für viele Landsleute der wichtigste Ansprechpartner.
Von Charkiw nach Solingen
Geboren in der damaligen Sowjetunion in Charkow, heute ukrainisch Charkiw, kam Krasnokutskiy im April 1999 nach Solingen – aus ethnisch-religiösen Gründen, wie er sagt: „Antisemitismus war, ist und wird immer ein Problem sein.“ Er absolvierte hier einen Sprachkurs, eine Ausbildung zum Kaufmann im Außenhandel und ein Abendstudium im Bereich Unternehmensmanagement. Beruflich arbeitet er heute im Vertrieb für Automobilstahl. Darüber hinaus engagiert er sich in der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen und pflegt den interkulturellen Austausch – nicht nur über seine Arbeit in städtischen Beiräten, sondern auch als ehrenamtlicher Schiedsmann im Bezirk Mitte 1.
„Im Grunde war ich am Anfang wie ein Fluglotse.“ Als im Februar 2022 russische Panzer in die Ukraine rollten, klingelte bei ihm ununterbrochen das Telefon. Freunde und Bekannte versuchten, sich in Sicherheit zu bringen, oft ohne zu wissen, wohin der nächste Zug fahren würde. „Ich habe gesagt: Fahrt erstmal nach Lwiw. Wenn ihr da seid, reden wir weiter. In Lwiw gab es dann einen Bus nach Przemyśl, von dort einen Zug nach Warschau – und so habe ich sie Etappe für Etappe begleitet.“
Frühes Engagement bereits vor Kriegsbeginn
Schon vor Kriegsbeginn war er aktiv. Sein Vater lebte damals nur 1.200 Meter von der russischen Grenze entfernt, in der Region Sumy. „Im Morgengrauen begann die Luftoffensive, dann rollten die Panzer über die Grenze. Mein Vater rief mich an und sagte: Die sind jetzt auf ukrainischem Boden – das ist der Krieg.“ Für Stan war klar, dass er helfen musste.
Krasnokutskiy nutzt seitdem jedes verfügbare Medium, um zu unterstützen – vor allem den Telegram-Kanal „Ukrainer in Solingen“, der mittlerweile über 1.900 Mitglieder zählt. „Am Anfang waren es nur ein paar Leute, heute kommen Anfragen aus ganz NRW – sogar aus Städten wie Hilden oder Remscheid, wo es keine eigenen Gruppen gibt.“
Orientierung im Solinger Behördendschungel
Nicht jede Frage erfordert seine Hilfe: „Wenn jemand fragt, wo man eine Busfahrkarte kaufen kann, kann das auch jemand anderes beantworten.“ Aber bei komplizierten Themen greift er ein: „Wir sind verheiratet, aber die Ehe wird hier nicht anerkannt, jetzt sollen wir getrennt wohnen“ – solche Fälle landen bei ihm. Oft klärt er Missverständnisse direkt: „Eine Krankenkassenkarte bekommt man nicht bei der Ausländerbehörde – das sage ich dann gleich, bevor jemand umsonst hingeht.“
Sein Vorteil: ein großes Netzwerk in der Solinger Stadtverwaltung. Als langjähriges Mitglied im Beirat Bürgerbeteiligung kennt er die richtigen Ansprechpartner. „Wenn im Rathaus einer sagt: Nicht meine Baustelle – gehe zur Ausländerbehörde und die schicken dann weiter zum Jobcenter – dann rufe ich direkt an. Ich kenne die Leute und kann Dinge oft sofort klären.“
Motto: „Menschlichkeit vor Bürokratie“
Diese Haltung fasst er in einem Satz zusammen: „Menschlichkeit vor Bürokratie.“ Für ihn ist es mehr als ein Motto – es ist gelebte Praxis. „Ich erinnere mich, wie es war, als ich 1999 hierherkam. Damals gab es keine Smartphones, keine Telegram-Gruppen. Wir mussten uns alles selbst erarbeiten – manchmal mit Fehlern, die Geld oder Nerven kosteten. Heute versuche ich, anderen diesen Weg zu ersparen.“
Seit 2023 ist Krasnokutskiy offiziell im Einsatz: als Schiedsmann im Bezirk Mitte 1 – der erste ukrainisch-jüdische in Solingen. Dort vermittelt er in zivilrechtlichen Streitigkeiten, bevor es vor Gericht geht. „Viele Sachen enden mit einem Vergleich, da muss man nicht zum Amtsgericht.“
Kandidatur für den Integrations- und Zuwandererrat (ZUWI)
Im September kandidiert er für den Integrations- und Zuwandererrat. „Im Grunde mache ich das, was ich seit Jahren tue – nur dann als gewählter Vertreter.“ Seine Motivation beschreibt er mit einem Vergleich: „Es ist wie mit einer langjährigen Freundin – man lebt schon lange zusammen und dann heiratet man. Ich helfe den Ukrainern seit dreieinhalb Jahren, jetzt will ich das auch offiziell tun.“
Für viele in der Community ist Stan schon jetzt das Gesicht der ukrainischen Diaspora in Solingen. Und sollte er im September gewählt werden, wird er wohl noch öfter den Satz sagen können, der seine Arbeit prägt: „Rufen Sie mich an – wir lösen das.“