SOLINGEN (bgl) – Wie lange braucht ein Arzt um festzustellen, ob ein Patient in der Notfallambulanz auch wirklich richtig aufgehoben ist? Geht es nach dem Gesetzgeber, dann wären ganze zwei Minuten vollkommen ausreichend. Seit dem 1. April gilt die so genannte Sichtungspauschale. Diese ist mit 45 Punkten bewertet und entspricht einem Wert von 4,74 Euro. Umgerechnet zwei Minuten Zeit für den Mediziner.
Ziel dieser Pauschale ist es, jene Patienten aus den Notfallambulanzen auszusortieren, die beim KV- oder beim Hausarzt besser aufgehoben wären. Nicht nur in Solingen ist diese Regelung längst in der Kritik und viele Kliniken lehnen eine Umsetzung rigoros ab. In einer gemeinsamen Pressekonferenz stellten Klinikum und Lukas Klinik jetzt die Sichtungspauschale und die damit verbundene Problematik vor.
Zwei Minuten Zeit für einen Patienten
In den vergangenen Jahren habe sich das Patientenverhalten verändert. „Die Bürger stimmen mit den Füßen ab und kommen zu uns“, erklärt Barbara Matthies, Geschäftsführerin des Klinikums. Während bei vielen niedergelassenen Ärzten in Solingen die Wartezimmer aus allen Nähten platzen würden, finden immer mehr Patientinnen und Patienten eine Alternative in der ambulanten Behandlung in den Kliniken. Ein bekanntes Problem in den Notaufnahmen, die sich somit auf immer mehr Patienten einstellen müssen. Und davon ist halt längst nicht jeder ein reiner Notfall. „Wir sagen schon seit Jahren, dass die Versorgung in den Notaufnahmen unterfinanziert ist“, macht Matthies deutlich.
Denkfehler in der Sichtungspauschale enthalten?
Dem stimmt ihr Kollege aus der Ohligser Lukas Klinik zu: „Dass man in zwei Minuten nichts bewegen kann und das auch noch für 4,74 Euro, dürfte wohl jedem klar sein“, sagt Gregor Hellmons, Geschäftsführer der Kplus Gruppe. In der Pauschale sei ansich bereits ein Denkfehler enthalten, erklärt Dr. Bernhard Plath. „Man setzt voraus, dass wir wie die Niedergelassenen in zwei Minuten beispielsweise einen Schnupfen erkennen können. Der Hausarzt kennt aber die Patienten mit all ihren Vorerkrankungen, während er zu uns als Patient kommt, den wir noch nie gesehen haben“, betont der Chefarzt der Zentralen Aufnahme-Einheit der Lukas Klinik. Von den Ärzten wird übrigens dann verlangt, dass nach zwei Minuten Sichtungszeit der Patient gegebenenfalls zum Hausarzt geschickt wird, den dort ein rappelvolles Wartezimmer erwartet.
Portalpraxen könnten das Problem lösen
Für Dr. Patric Tralls, Chefarzt der Zentralen Notfallambulanz des Klinikums, ist diese Entwicklung sogar ein grundsätzlicher Einschnitt im medizinischen Versorgungssystem. „Niemand zweifelt die Feuerwehr oder die Polizei an, so sollte es doch auch mit den Ambulanzen sein“, sagt der Notfallmediziner. Eine Lösung dieses zunehmend dringlicher werdenden Problems könnten so genannte Portalpraxen sein.
Diese würden von den Kassenärztlichen Vereinigungen getragen und der Notfallambulanz eines Krankenhauses zugeschaltet. Mediziner und Patienten wären bei der derzeitigen Sichtungsregelung gleichermaßen auf der Verliererseite, stellt Dr. Bernhard Plath fest, denn „hinter jedem vermeintlichen Bagatellfall kann etwas durchaus ernstes stecken. Und das erkennt man halt nicht in zwei Minuten“, so der Mediziner. Im Klinkum werden jährlich rund 45.000 Patientinnen und Patienten in der Ambulanz behandelt. In der Lukas Klinik sind es etwa 22.000.