SOLINGEN (mh) – Kunst ist für Susanne Müller-Kölmel eine Lebensnotwendigkeit. Die 1962 in Solingen geborene Malerin verarbeitet in ihren Werken auch die großen Lebensthemen. Humorvoll und zugleich poetisch spannt sie den Bogen zwischen Fremdheit und Zugehörigkeit, zwischen Flucht und Ankommen, zwischen Leben und Tod.
Susanne Müller-Kölmel verarbeitet Lebensthemen
Kennzeichnend für ihre Arbeit ist vor allem ihr Memorial Book Projekt. „Ich wollte gestalterisch ein Tagebuch machen, was man nicht analog Tag für Tag durchblättert“, beschreibt die Künstlerin ihre Idee, die sie am 01.01.2010 in die Tat umsetzte. Seitdem hält sie jeden Tag des Jahres gestalterisch fest.
Zu Beginn des Jahres faltet sie einen 45 cm breiten und 438 cm langen Papierstreifen zu einem Buchblock mit 365 Seiten. Eine Banderole hält alles zusammen. Dieser Block begleitet die freischaffende Künstlerin auf allen Wegen. „Ich nehme es mit in den Urlaub und auch sonst überall hin, mache jeden Tag eine Seite. Das kann ein Bild sein, ein Gedicht, ein Satz oder eine Emotion, die ich künstlerisch gestalte.“ Ein vielfältiges Werk aus Farben und Formen, mal flächig bemalt, mal detailliert gezeichnet, dann wieder leicht skizziert und manchmal nur ein Wort. Wahrhaft beeindruckend, wenn man am Jahresende die Tagesbilder komplett auf einer Seite sehen kann. Es ist eine Würdigung aller Facetten des Lebens. „Darin findet man wieder, mit was ich mich im Alltag beschäftige.“ Susanne Müller-Kölmel reflektiert immer wieder Ereignisse. „Dadurch kann ich vieles im Nachhinein begreifen, was zuerst nicht klar war.“
„Erlebnisse sind Bewusstsein und Erinnerung ist ein Archiv, auf das ich zurückgreife und das ich ständig erweitere“, beschreibt sie ihre Intension. Jede Einzelfläche ist Ausdruck eines bewusst wahrgenommenen Tageserlebnisses. Je nach aufgetragenen Farben wird das Buch im Laufe des Jahres immer schwerer, bekommt auch Falten und kleine Risse – genau wie das Leben selbst. Eigentlich ist es nur ein kleines Päckchen – und doch ein Reichtum an Erlebnissen. Das Bewahren und Begreifen hat für Susanne Müller-Kölmel einen ganz hohen Stellenwert.
Ein Ende des Projektes ist nicht in Sicht. „Es bedeutet mir sehr viel“, gibt Müller-Kölmel zu. Mit Beginn des Projektes hatte sie sich das Ziel gesteckt, zehn Jahre festzuhalten. Mittlerweile nähern sich Wunsch und Hoffnung dem 25-Jährigen.
Memorial Books – ein einzigartiges Projekt
Ein weiteres, höchst interessantes Projekt sind die Lost Places. Zum Jubiläumsjahr 650 Jahre Solingen setzt die Künstlerin Solingens verlorene Alltagsorte, mit denen sie persönliche Erinnerungen verknüpft, in Szene. Architektonische Relikte, die das Stadtbild prägen. Einige haben noch Bestand, andere existieren mittlerweile nicht mehr oder haben unter Umständen eine neue Funktion bekommen. Im Birker Bad hatte sie die Kanurolle geübt, das Büdchen am Bülowplatz war ein Ort der Begegnung. Ihre Erinnerungen an das Turmhotel und Karstadt mit seiner Passage teilt sie vermutlich mit einer Vielzahl der Solinger Einwohner. Bei Kieserling hatte der Großvater gearbeitet. Am Alten Bahnhof ging es auf die Reise zu den Großeltern.
„Ich hatte mir zunächst überlegt, welche Motive spannend sein könnten“, so die Künstlerin, die gerne in Serie arbeitet. Angefangen hatte sie mit Stillleben, darunter viele Erinnerungsstücke. Erweitert wurde die Sammlung durch Randgeschehen, wie die Abbildung eines Tischrandes und des jeweiligen Tischbeines. Die Konzepte für ihre künstlerische Arbeit entwickelt Müller-Kölmel aus Erinnerungen, aber auch Lebenserkundungen. Sie lässt sich vom Zeitgeschehen anregen und von alten Familienfotos. „Ich male gerne, fabuliere mit der Farbe. Sie löst sich auf, verändert sich. Dann probiere ich aus.“ Vorwiegend nutzt sie für ihre Malereien Öl, Acryl, Eitempera. Auch Mixtechniken sind darunter. „Ich umkreise einen Themenkomplex von vielen unterschiedlichen Seiten. Ich habe das Thema und das Material. Dann schaue ich, wie sich das Ganze auf der Leinwand weiterentwickelt“, beschreibt sie ihre Vorgehensweise.
Lost Places – eine Serie architektonischer Relikte
Alle diese Ansichten setzt sie derzeit in Bilder um. „Für mich sind es nicht die Objekte allein“, sagt sie. „Alles steckt voller Erinnerungen, ist viel mehr als ein Bild.“ In ihrer Arbeit befasst sie sich mit der Reflexion über Vergänglichkeit und Wandel, versucht die Stimmung dieser verlassenen bzw. verlorenen Orte einzufangen und schafft dadurch eine atmosphärische Tiefe, die den Betrachter nach „damals“ versetzt. Die Künstlerin ist von großer Achtsamkeit dem Leben gegenüber. „Wie wende ich mich dem, was gewesen ist, zu? Ich kann es nicht verändern. Aber welche Haltung ich einnehme und was ich daraus mache, entscheide ich selbst.“
Nach ihrem Studium als Diplom-Designerin an der staatl. Universität Wuppertal und anschließender Tätigkeit als Art-Direktorin hatte Susanne Müller-Kölmel ein Kunststudium an der Freien Akademie der bildenden Künste in Essen aufgenommen und 2013 erfolgreich abgeschlossen. Seitdem ist sie als freischaffende Künstlerin in Solingen und Düsseldorf aktiv und geht außerdem einer Dozententätigkeit sowohl in der Erwachsenenbildung als auch in der Museumspädagogik nach. Außerdem ist sie Mitglied der GEDOK, dem europaweit größten Netzwerk für Künstlerinnen. Seit 2007 gehört sie zum Verein Solinger Künstler e.V. und ist seit 2017 die erste Vorsitzende.