SOLINGEN (mh) – Im Solinger Vogel- und Tierpark leben seit einigen Jahren außergewöhnliche Bewohner, die nicht nur durch ihr elegantes Federkleid, sondern auch durch ihre bewegte Geschichte beeindrucken: die Cröllwitzer Puten. Diese alte, vom Aussterben bedrohte Haustierrasse gehört zu den stillen Schätzen der deutschen Kulturlandschaft und begeistert Tierfreunde, Schulklassen und Familien gleichermaßen.
Cröllwitzer Puten – vom Aussterben bedroht
Schon beim ersten Blick fällt das prachtvolle Äußere dieser besonderen Truthühner auf: Ihr schneeweißes Gefieder ist von tiefschwarzen Säumen gesäumt – jede einzelne Feder wirkt wie von Hand bemalt. Die Armschwingen leuchten am Ende in sattem Schwarz, die kräftigen Läufe zeigen sich in dezenten Fleisch- bis Rottönen. In der Balzzeit wird das elegante Erscheinungsbild noch von einem eindrucksvollen Ritual gekrönt. Der Hahn schlägt mit den Schwanzfedern ein imposantes Rad, spreizt die Flügel, stellt seinen roten Kamm auf und ruft lautstark, um die Aufmerksamkeit der Henne zu gewinnen.
Ihren Ursprung hat diese seltene Rasse in der sächsischen Stadt Cröllwitz. Dort wurde sie im 19. Jahrhundert durch die gezielte Kreuzung belgischer und deutscher Putenlinien gezüchtet. Ziel war es, ein Tier zu schaffen, das robust und anpassungsfähig ist und zugleich feines Fleisch liefert. Doch in einer Zeit, in der wirtschaftliche Interessen und Massentierhaltung dominierten, gerieten die Cröllwitzer zunehmend ins Hintertreffen. Ihre geringere Größe – sie werden daher auch als Portionsputen bezeichnet – machte sie gegenüber den schweren Mastputen unrentabel. Viele Betriebe stellten die Zucht ein, und die Tiere drohten in Vergessenheit zu geraten.

Heute gilt die Cröllwitzer Pute als ein Symbol für eine Landwirtschaft, die Vielfalt, Nachhaltigkeit und Respekt vor der Natur wieder in den Vordergrund stellt. Im Vogelpark Ohligs fühlen sie sich sichtlich wohl. Hier verbringen sie viel Zeit im Freien, wo sie eifrig nach Gräsern, Kräutern, Insekten und Schnecken suchen – ein Verhalten, das in industriellen Betrieben längst verloren gegangen ist. Die Tiere sind wetterfest und äußerst robust, benötigen aber in den nasskalten Monaten einen trockenen, zugfreien Stall, um gesund zu bleiben.
Cröllwitzer sind wetterfest und robust
„Unsere Cröllwitzer sind überaus vielseitig“, berichtet Janett Heinrich, die leitende Tierpflegerin des Parks. „Neben dem Fleisch werden auch ihre Eier und Federn genutzt.“ Besonders bekannt sind die Hennen als hervorragende Mütter, die nicht nur ihre eigenen Eier, sondern auch die Gelege anderer Geflügelarten zuverlässig ausbrüten. Das macht sie für den Erhalt alter Geflügelrassen besonders wertvoll.
Die Weibchen legen pro Jahr zwischen 20 und 40 Eier, was für eine Putenrasse durchaus beachtlich ist. Doch ihr größter Schatz ist ihr Beitrag zur biologischen Vielfalt. Im Vogelpark zeigen sie eindrucksvoll, wie wichtig es ist, gefährdete Haustierrassen lebendig zu erhalten und den Besucherinnen und Besuchern näherzubringen.

„Wir möchten hier nicht nur seltene Tiere zeigen, sondern auch ein Bewusstsein schaffen“, erklärt Heinrich weiter. „Denn jede dieser Rassen erzählt ein Stück Geschichte – und sie zeigt uns, wie eng unser eigenes Leben mit der Vielfalt der Nutztiere verbunden ist.“
Langfristig will der Vogelpark seine Rolle als Arche für bedrohte Rassen noch ausbauen. Der Bergische Kräher, die indischen Laufenten und Thüringer Waldziegen haben bereits hier ein Zuhause gefunden. „Wir planen, weitere Tiere wie beispielsweise das Bentheimer Landschaf aufzunehmen“, so Heinrich. „Dann können wir uns mit Fug und Recht ‚Archepark‘ nennen.“ Der Park ist deshalb auch Mitglied in der GEH e.V. – der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen. Dieser bundesweite Verein wurde 1981 gegründet und zählt heute über 2.000 engagierte Mitglieder, die sich für den Erhalt tierischer Kulturgüter einsetzen.
Langfristiges Ziel – der Archepark
Alle Besucherinnen und Besucher sind herzlich eingeladen, die Cröllwitzer Puten bei einem Spaziergang durch den Park aus nächster Nähe zu erleben. Wer genau hinsieht, wird entdecken, dass hinter ihrem anmutigen Federkleid eine jahrhundertealte Geschichte, viel Charakter und eine Portion lebendiger Stolz steckt.