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Engelsklinge – Buch 2: In Nebel gehüllt (Kapitel 3.2)

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Lucia kümmert sich um die Schülerin Patsy.
Lucia kümmert sich um die Schülerin Patsy. "Engelsklinge" wurde von der ukrainischen Autorin Svitlana Glumm verfasst. (Bild: Open AI)

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Von Svitlana Glumm

Engelsklinge

Buch 2 – In Nebel gehüllt

Aus dem Russischen

Kapitel 3.2

Lucia drückte auf den Knopf und der Strom warmen Wassers versiegte. In den drei benachbarten Duschkabinen befanden sich bereits Mädchen. Ihr fröhliches Geplapper, während sie sich durch die Plastiktrennwände hindurch unterhielten, hallte durch die ganze Dusche. Sie sprachen über Hausaufgaben, diskutierten über Lehrer, den bevorstehenden Ausflug und natürlich über Jungen.

„Hat er also tatsächlich Mr. Peterson so geantwortet?“, ertönte eine Stimme links von Lucias Kabine durch das Rauschen des Wassers.

„Jep“, antwortete jemand aus der rechten Kabine. „Was hat der Opa denn für ein C im Test erwartet? Dankbarkeit?“ – Das Mädchen schnaubte missbilligend. Das Wasser in ihrer Kabine verstummte und das Handtuch, das über der Trennwand hing, verschwand. „Er sollte froh sein, dass er sich nicht noch deutlicher ausgedrückt hat.“

Das Mädchen links von Lucia stellte ebenfalls das Wasser ab. Das Rascheln in der Kabine bedeutete, dass sie sich anzog.

„Frech“, sagte sie.

Beide Kabinentüren klappten gleichzeitig auf und die Schülerinnen gingen zu den Waschbecken, über denen ein großer rechteckiger Spiegel hing. Man hörte das Kramen in Kosmetiktaschen und die Mädchen verstummten für einen Moment.

Lucia tupfte sich nur leicht mit dem Handtuch ab, um dem Körper Zeit zu geben, selbst abzukühlen.

„Deckst du mich heute Abend wieder?“, fragte das Mädchen, das aus der rechten Kabine gekommen war.

„Schon wieder?“, fragte ihre Freundin überrascht.

„Du weißt doch, Kitsch hat nach dem Mittagessen Training.“

„Er will wirklich Brian in der Jahreswertung für Fitness überholen?“

„Na ja, irgendwo muss er ja mal glänzen!“

Der Deckel eines Lippenstifts schlug gegen eine Puderdose, ein heller Schlag hallte durch den Duschraum. Die Schülerinnen beendeten ihr morgendliches Make-up.

Lucia zog ein T-Shirt an und griff nach der Jeans, die über der Trennwand hing. Sie hatte es nicht eilig, sich den Mädchen zu zeigen, die sich sicher wundern würden, sie in der Dusche zu sehen. Das Gespräch mit Elijah sollte nach dem Unterricht fortgesetzt werden, und Lucia wollte nicht für nur ein paar Stunden nach Hause fahren. Die warme Dusche hatte ihr gutgetan, die Wut, die in ihrer Brust gebrodelt hatte, war verschwunden und machte ihrer gewohnten Gleichgültigkeit Platz. Leo war in die Küche gegangen, um Frühstück zu holen und danach wollten sie einen kleinen Spaziergang machen. Auch wenn Engel so sprachen, dass Menschen ihre Worte nicht hören konnten und ihre Präsenz auf größere Distanz spürbar war, war Lucia immer vorsichtig, um das Risiko zu minimieren, dass jemand „Mäuschen spielte“. Zumal es um Überwachung ging. Es war nicht erlaubt, ohne Notwendigkeit ein Geheimnis über sich preiszugeben.

„Na gut“, sagte das Mädchen aus der rechten Kabine. „Du schuldest mir was, Cash.“

„Kein Ding“, antwortete Cash fröhlich. „Und könntest du vielleicht…“

„Die wurden doch letzten Monat verteilt“, rief ihre Freundin überrascht.

„Margo!“

„Deine Schuld verdoppelt sich“, stimmte Margo zu. „Aber ich bin nach der Algebra im Krankenzimmer. Du erinnerst dich doch, dass ich mittwochs Zusatzunterricht bei Mrs. Lindsay habe, oder?“

„Natürlich, natürlich“, beeilte sich Cash zu antworten. „Bei Violetta ist es nie schwer, ein paar Stück zu bekommen“, fügte sie im Flüsterton hinzu.

„Reicht euch eines etwa nicht?“, spottete Margo.

Lucia hörte Cash verärgert aufseufzen.

„Du weißt doch, Kitsch ist so leidenschaftlich, da reicht einmal nicht aus.“

„Ich weiß nicht, Cash“, meinte Margo trocken. „Ich schlafe schließlich nicht mit deinem Freund. Und überhaupt, um sowas sollte er sich selbst kümmern.“

Weitere Mädchen kamen in die Dusche, und die älteren Schülerinnen verstummten. Den hohen Stimmen und dem Gesprächsthema nach zu urteilen, handelte es sich um Schülerinnen aus der Mittelstufe. Dann kamen noch zwei hinzu. Eine davon war Greta Lingred, die Lucia schon lange kannte. Die Türen der Duschkabinen klappten und von beiden Seiten Lucias war wieder das Rauschen von Wasser zu hören.

„Campbell, bist du bald fertig?“, drängte Cash ihre Klassenkameradin.

Das Mädchen, das mit den anderen gekommen war, hatte sich gerade angezogen und sich nicht am Gespräch beteiligt. Als Lucia ihre Gedanken las, verstand sie auch warum: Die Schülerin hatte keinerlei Lust, über Jungs zu reden oder Cash bei ihrem Vorhaben zu helfen – einem Vorhaben, das sich jedes Mal wiederholte.

Offenbar hatte ihr das letzte Mal gereicht, als sie Angst hatte, Violetta würde sie beim Stehlen erwischen. Sie nahm sich alles sehr zu Herzen und neigte dazu, schnell in Panik zu geraten – ein Kind, das unerwünscht aufgewachsen war und für jedes Vergehen den Kopf hinhalten musste. Selbst wenn ihr kleiner Bruder schuld war, bekam zuerst sie den Ärger, du armes Ding. Ich hoffe, Elijah kann dir helfen, mit deinem Problem fertigzuwerden, dachte Lucia.

Sie richtete ihre Jeans, als sie plötzlich den triumphierenden Ruf von Cash hörte.

„Patsy hat sich auch bequemt“, spottete die ältere Schülerin höhnisch. „Gekommen, um deinen Dreck abzuwaschen, du Stinkerchen?“ – Ihr Gelächter war gehässig und schrill.

Margo prustete los.

Lucia öffnete lautlos die Tür ihrer Kabine und schlüpfte in die Sneakers, die davor standen.

Patsy senkte schuldbewusst den Blick und zog den Kopf zwischen die Schultern. Die Narben auf ihrem Gesicht wurden rot. Zitternd kaute sie auf ihrer Unterlippe und ging langsam zu einer freien Kabine – ausgerechnet der, aus der Lucia gerade gekommen war. Ihr ängstlicher Blick, den sie Lucia zuwarf, erinnerte an ein gehetztes Tier. In den Händen hielt sie ein Handtuch und ihre Sportsachen. Cash und Margo verfolgten ihr Näherkommen mit stummer Aufmerksamkeit. Um zur Kabine zu gelangen, musste Patsy an den beiden vorbeigehen. Kaum war sie auf Höhe von Cash, verzog diese, deren auffälliges Make-up und rote Strähnen aus den schwarzen Haaren leuchteten, die Lippen zu einem verächtlichen Grinsen. Plötzlich stieß sie Patsy in den Rücken.

Überrascht verlor Patsy das Gleichgewicht, ihre Beine knickten weg und sie stürzte auf die gefliesten Bodenplatten. Kleidung und Handtuch flogen zur Seite und landeten direkt vor Margos Füßen. Die Blondine wich angeekelt zurück zum Waschbecken. Cash warf Margo einen Blick zu. Diese brach in Gelächter aus und entblößte dabei eine Reihe lückenhafter Zähne. Die beiden Mädchen schnappten sich ihre Kosmetiktaschen vom Waschbecken, griffen nach ihren Handtüchern und eilten hinaus.

„Du solltest dich waschen, Dreckspatz“, rief Margo über die Schulter.

„Beeil dich besser, sonst verpasst du noch das Frühstück“, fügte Cash hinzu, während sie im Korridor verschwand.

Lucia wollte aufschreien, um die arroganten Teenager aufzuhalten, doch sie hielt inne. Vor ihrem inneren Auge erschien das Bild ihres ersten Schulbesuchs in Rom, damals, in den ersten Tagen ihres irdischen Lebens. Die Erinnerung an den Vorfall mit Niccolò machte ihr keine Freude. Also blieb sie schweigend und beobachtete, wie Patsy sich auf den Boden setzte. Die Schülerin senkte den Kopf, um den Blickkontakt mit den anderen Mädchen, die aus den Kabinen kamen, zu vermeiden.

Die jüngeren Schülerinnen, die das Geschehen bemerkt hatten, verließen hastig den Raum und knöpften im Gehen ihre weißen Hemden zu, während sie sich weinrote Jacken überwarfen. Selbst Greta, die sonst immer neugierig war, verschwand schnell, sobald sie bemerkte, dass in der Nähe einer der Kabinen der Assistent der Schulpsychologin stand.

Endlich sah Lucia auch Campbell – ein hübsches Mädchen mit dunkelbraunem Haar, das ihr in weichen Locken über die Schultern fiel. Im Gegensatz zu ihren drei Klassenkameradinnen wirkte Campbell am sympathischsten. Große Augen in dunklem Kastanienbraun, helle, beinahe blasse Haut, durchzogen von sichtbaren blauen Äderchen an den Schläfen, feine Gesichtszüge und eine zarte Hand mit langen Fingern – all das wies nicht nur auf den wieder modern gewordenen „aristokratischen Typ“ hin, den Lucia einfach nur für kränklich hielt, sondern auch auf ihre Herkunft: England. Die Klassenkameradin warf Patsy einen mitfühlenden Blick zu und verließ ohne ein Wort die Dusche. Im Raum blieben nur Lucia und das sechzehnjährige Mädchen zurück, das kurz davor war, in Tränen auszubrechen.

Grausamkeit liegt euch im Blut, dachte Lucia über die Menschen. Der Drang, die eigenen zu vernichten.

Für sie war Töten nicht nur das physische Auslöschen eines Lebens, sondern auch das seelische Zermürben. Mit beidem kommen Dämonen klar, schoss es ihr durch den Kopf. Doch die Menschen ließen das Böse in sich wirken, überließen ihm ihren Geist und ihre Taten – getrieben von niederen Gefühlen wie Hass, Bosheit und Neid. Aber auch Angst war kein Werkzeug des Schöpfers. Und Patsy hatte Angst. Angst vor der Masse, Angst davor, ausgelacht zu werden – was ihr auch schon oft widerfahren war, wie Lucia aus ihren Gedanken lesen konnte. Diese Angst war zu Patsys Wesen geworden in der kurzen Zeit, die sie im Lager verbracht hatte.

Du musst vor allem daran arbeiten, Mädchen, dachte Lucia, während sie ihre Lippen fest zusammenpresste und den Blick nicht von Patsys Gesicht löste.

Die Stimmen der Jungen, die die Nachbardusche verlassen hatten, verklangen. Offenbar befanden sich jetzt alle Kinder in der Kantine. Bald würde die Schulglocke läuten und ein weiterer Unterrichtstag beginnen. Ein Tag, an dem Patsy entweder dem Spott ihrer Klassenkameraden entgegentreten oder, wie so oft, Demütigungen über sich ergehen lassen würde.

Du entscheidest, Kleines, dachte Lucia, trat auf sie zu und reichte ihr die Hand.

„Steh auf“, sagte sie kühl, ohne den Ton zu erheben, auch wenn sie das Wort am liebsten wie einen Befehl herausgeschrien hätte, um Patsy zum Handeln zu zwingen. „Du hast gleich Unterricht.“

Der Blick aus Patsys Augen, der einem gehetzten Tier ähnelte und unter langen Wimpern hervorstach, hätte Lucia beinahe laut aufschreien lassen, doch sie unterdrückte die Wut, die durch Cashs Verhalten in ihr aufstieg.

Das ist Patsys Leben, ihre Entscheidung, sich dem Mobbing auszusetzen, dachte sie. Eine Entscheidung, die den sozialen Status eines Menschen für immer verändern kann, fällt nicht leicht. Es ist nicht einfach, sich gegen alle zu stellen, wenn man das Etikett des Gespötts trägt. Es ist schwer, sich Respekt zu erkämpfen – aber es ist notwendig. Notwendig, um die bislang schlummernden Talente in sich zu wecken.

Patsy schüttelte den Kopf und erhob sich mithilfe von Lucias ausgestreckter Hand. Lucia hob das durch Wasser durchnässte Handtuch unter dem Waschbecken auf sowie die stellenweise beschmutzte Schuluniform und reichte sie dem jüngeren Mädchen.

„Die Uniform ist gar nicht so schmutzig“, stellte sie fest und warf einen kurzen Blick darauf. „Es wird nicht lange dauern, zwei Flecken aus dem Rock zu bekommen.“ Lucia lächelte schwach.

Patsy nahm die Sachen wortlos entgegen, legte das Handtuch auf das Waschbecken, drehte den Wasserhahn auf, hängte Blazer und Hemd an einen Haken und hielt dann den Rock unter den Wasserstrahl. Im Gegensatz zu Cash und Margo schien sie doch etwas überrascht darüber, dass eine ältere Schülerin – die sogar dem Schulpsychologen assistierte – ihr geholfen hatte.

Viel älter, schmunzelte Lucia innerlich.

Sie ging in Richtung Ausgang der Dusche und ließ das Mädchen allein zurück, um sich wieder in Ordnung zu bringen.

– Fortsetzung folgt –

„Engelsklinge – Tödlicher Schlag“ gibt es jetzt auch als Taschenbuch. Bestellen kann man es unter anderem HIER!

Zur Autorin

Svitlana Glumm wurde in Kropywnyzkyj in der Ukraine geboren. Die 45-Jährige studierte an der dortigen Universität Geschichte und später an der Uni in Kiew Journalismus. Als Journalistin arbeitete sie über zehn Jahre für Zeitungen in Kiew und Kropywnyzkyj. Sie verfasste mehrere Bücher, Manuskripte und Kurzgeschichten rund um die Themen Fantasy und Mythologie. Seit April 2022 lebt sie in Solingen.

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