SOLINGEN (bgl) – Nicht nur im Rathaus schrillen inzwischen die Alarmglocken aufgrund der dramatischen Entwicklung im Solinger Ausbildungsmarkt. Auch bei Handwerk und Industrie sitzen die Sorgenfalten tief, denn fehlender Nachwuchs setze die Leistungsfähigkeit des gesamten Standorts aufs Spiel.
„Die Situation hat sich in der Vergangenheit verschlechtert, es muss jetzt ein Ruck durch Solingen gehen“, fordert Oberbürgermeister Tim Kurzbach die Solinger Unternehmen ganz direkt dazu auf, Ausbildungsplätze zu schaffen und freie Stellen zu melden. „Wir bitten alle Arbeitgeber in Solingen darum, nachzuschauen, ob nicht doch noch etwas möglich ist. Wir brauchen jetzt die Unterstützung und die Solidarität aller“, unterstreicht der OB die Dringlichkeit des Anliegens.
Weniger als 500 Ausbildungsstellen
Denn die Zahlen, die Martin Klebe, Chef der Agentur für Arbeit Wuppertal-Solingen, jetzt im Rathaus noch einmal vortrug, stimmen wenig optimistisch. „Wir liegen bei weniger als 500 gemeldeten Ausbildungsstellen für das nächste Ausbildungsjahr. Das ist der schlechteste Wert seit mindestens fünf Jahren“, macht Klebe deutlich. Dem gegenüber stehen 580 junge Menschen, die zum 1. September noch eine Lehrstelle suchen.
Die Auswirkungen dieser Entwicklung sind kaum absehbar, denn derzeit sind noch 50.000 Solingerinnen und Solinger in sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen. „Ein Fünftel geht davon aber in den kommenden Jahren in den Ruhestand“, so Klebe weiter. Ein klaffendes Loch entstünde im Arbeitsmarkt, das man bei den wenigen nachrückenden Azubis kaum noch stopfen könne.
Brief an Solinger Unternehmen verschickt
Um den Ernst der Lage noch einmal zu vergegenwärtigen, wird in den kommenden Tagen ein Brief an Solinger Unternehmen verschickt werden. Unterschrieben ist dieser von OB Kurzbach, IHK-Präsident Thomas Meyer, Horst Gabriel, Vorsitzender des Solinger Arbeitgeberverbandes, Kreishandwerksmeister Arnd Krüger und von Martin Klebe. „Es gibt in Solingen Aufholbedarf, es ist allerhöchste Zeit“, warnt Martin Klebe. Dass die Solinger Azubis qualitativ nicht per se schlecht sind, zeigt eine andere Zahl. Denn 56 Prozent der aus Solingen kommenden Auszubildenden pendelt in die Nachbargemeinden zu ihren Lehrstellen außerhalb der Klingenstadt.
Fachkräftemangel und fehlende Unternehmensnachfolger
„Wenn wir jetzt nicht mehr ausbilden, dann fehlen uns später auch die Unternehmer“, sagt Kreishandwerksmeister Arnd Krüger. Denn längst sei bei zahlreichen Handwerksbetrieben neben dem Fachkräftemangel auch die Unternehmensnachfolge ein echtes Problem. „Wer mit 65 aufhören will und absehbar keinen Nachfolger findet, der bildet auch nicht aus“, zeigt Arnd Krüger die Kausalkette der Problematik auf.
Der Brief an die Solinger Firmen soll nur ein Teil einer ganzen Reihe von Maßnahmen sein, die jetzt im Rahmen einer Ausbildungsoffensive angepackt werden sollen. Im Herbst gibt es eine Unternehmertagung mit dem Schwerpunktthema Ausbildung. Dem soll eine Anzeigenkampagne folgen. Zudem will man das persönliche Gespräch mit den Unternehmern suchen.
Kurzbach: „Eine Frage der Ehre und des Stolzes“
„Es ist eine dramatische Situation, die uns Anlass zu allergrößten Sorgen gibt. Aber ist es nicht auch eine Frage der Ehre und des Stolzes, dass man in Solingen Ausbildungsplätze schafft, um etwas für diese Stadt zu tun“, appelliert Tim Kurzbach an alle Solinger Unternehmen, sich in Sachen Ausbildung noch einmal neu zu positionieren.