SOLINGEN (ssh) – Am Freitagnachmittag fand die jährliche Veranstaltung zum Gedenken an die vor 80 Jahren deportierten Solinger Sinti und Roma statt. Hierzu luden unter anderem der Solinger Appell, das Bündnis für Toleranz und Zivilcourage, der SOS Rassismus e.V. sowie Solingen ist Bunt statt Braun ein. An den Clemens-Galerien versammelten sich rund 30 Menschen zur Kundgebung. Sie erinnerten an 62 Solinger Sinti und Roma, die am 03. März 1943 nach Auschwitz deportiert worden waren. Zahlreiche Kinder und Frauen waren unter den Opfern, von denen mindestens 55 ermordet wurden.
Zusammenhalt gegen Rechtsextremismus
Die Veranstaltung begann auf dem Mühlenplatz, wo unter anderem Reden von Dietmar Gaida vom Solinger Appell und Oberbürgermeister Tim Kurzbach gehalten wurden. Gaida betonte die Relevanz der Erinnerung und der damit einhergehenden Mahnung: „Die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung belegt, dass auch 2021 Sinti:zze und Rom:nja zu den am stärksten mit Vorurteilen bedachten Bevölkerungsgruppe gehören.“
Umso wichtiger sei es, die Tradition des seit 2014 stattfindenden Mahngangs fortzuführen und die Erinnerung an die Opfer des NS-Regimes wachzuhalten (wir berichteten). Kurzbach erinnerte mit bewegenden Worten daran, dass es vor allem Kinder waren, die vor 80 Jahren deportiert und ermordet wurden.
Der Oberbürgermeister dankte den Teilnehmern für ihr Erscheinen und den dadurch symbolisierten Zusammenhalt. Sein besonderer Dank galt Stephanie Schlüter und Manuel Füsgen für ihre musikalische Begleitung, denn „diese Künstlerinnen und Künstler können uns etwas zu Herzen gehen lassen, wo so mancher Redner eben nur den Kopf erreichen kann.“
Gemeinsamer Mahngang zur Korkenziehertrasse
Gemeinsam machte sich der Mahngang anschließend von den Clemens-Galerien auf den Weg zur Korkenziehertrasse. Dort versammelte sich die inzwischen gewachsene Gruppe am 2007 eingeweihten Mahnmal. Die Anwesenden bestückten das Denkmal mit roten Rosen, die teils in den übergroßen Stacheldraht gesteckt wurden. Es folgte eine Schweigeminute.
Bewegende Worte richtete anschließend Roman Franz, Sprecher des Landesverbandes der Sinti und Roma NRW, an die Anwesenden. Er verzichtete auf seine vorbereitete Rede und erzählte stattdessen davon, wie es für ihn war, in der Zeit nach dem Krieg als deutscher Sinti aufzuwachsen. Sein Vater hatte, im Gegensatz zu seiner Großmutter und 36 anderen Verwandten, mehrere Konzentrationslager überlebt. Doch wohin, nach der Befreiung aus dem KZ? Franz erzählte: „Auch Jahrzehnte nach dem Krieg hatte man Angst. Weil Deutschland nicht neu gemacht worden ist, Deutschland ist restauriert worden.“ Das während des Dritten Reichs propagierte und gelebte Gedankengut wurde weitergetragen. Manche Menschen, die für Deportationen und andere Straftaten verantwortlich waren, saßen in Ämtern oder sogar als Lehrkräfte in Schulen. Erst 1982 ist der Völkermord an Sinti und Roma anerkannt worden.
Anschließend an seine eingehende Geschichte drückte Roman Franz seine Freude über die zahlreichen Anwesenden und Worte des Dankes aus. „Ohne Sie könnten wir unsere Arbeit, die sich seit 40 Jahren so sehr verbessert hat, überhaupt nicht machen. Wenn man weiß, da sind Menschen wie Sie, die stehen zu einem, das macht einen stark.“
9. Konzert im Walder Stadtsaal
Das Konzert im Walder Stadtsaal wurde von Stadtdirektorin Dagmar Becker eingeleitet. Sie betonte: „In Krisenzeiten wächst zwar der Zusammenhalt, aber leider auch die Ausgrenzung. Daher ist das Gedenken auch so relevant. Aber wir brauchen dazu auch Kraft und Energie. Deswegen ist es ganz wichtig, jetzt hier zusammen zu sein, zu feiern und heute Abend diese tolle Musik zu hören.“
Norbert Schmelzer vom Verein SOS Rassismus begrüßte die rund 100 Besucher des 9. Konzerts dieser Art und stellte die beiden Bands vor. Er machte deutlich, dass die beschwingte, fröhliche Musik als Abschluss der Gedenkveranstaltung auch deshalb wichtig ist, weil sie einen relevanten Teil der Kultur der Sinti ausmacht. Ein gelungener kultureller Austausch hilft gegen Fremdenhass und Ausgrenzungen.
Gypsy-Jazz & Swing
Gismo Graf und sein Vater Joshi Graf an den Gitarren und Simon Ort am Kontrabass spielten Musiktitel in der Tradition ihres bekannten Vorbilds Django Reinhardt. Auch die niederländische Band The Rosenbergs – Johnny Rosenberg (Gitarre, Gesang), Mozes Rosenberg (Gitarre) und ihr Kontrabassist – begeisterten die Anwesenden mit mitreißenden und abwechslungsreichen Rhythmen.
Zum Abschluss des gelungenen Abends spielten beide Bands gemeinsam verschiedene Stücke in einer klangvollen Session und erhielten anhaltenden Beifall.