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Engelsklinge – Buch 1: Tödlicher Schlag (Kapitel 12.2)

Lucia eilte Leo zur Hilfe und bekam es über den Dächern von Mailand mit Ludovico zu tun. "Engelsklinge" wurde von der ukrainischen Autorin Svitlana Glumm verfasst. (Bild: Open AI)

Lucia eilte Leo zur Hilfe und bekam es über den Dächern von Mailand mit Ludovico zu tun. "Engelsklinge" wurde von der ukrainischen Autorin Svitlana Glumm verfasst. (Bild: Open AI)

Von Svitlana Glumm

Engelsklinge

Buch 1 – Tödlicher Schlag

Aus dem Russischen

Kapitel 12.2

Plötzlich spürte Lucia Gefahr. Ihr Gesicht verhärtete sich, in ihren Augen loderten wütende Funken auf und ihre Finger ballten sich zu Fäusten.

„Was ist los?“, fragte Julietta besorgt, als sie bemerkte, dass sich Lucias Verhalten verändert hatte. „Hier sind keine Dämonen in der Nähe“, versicherte sie. „Ich würde sie spüren, auch wenn ich nicht so einen scharfen Instinkt habe wie die Wächter.“

Ohne auf Juliettas Worte einzugehen, stürmte Lucia in ihr Zimmer und zog sich blitzschnell um. Sie trat in den Flur, während sie sich ihre Jacke überwarf. Julietta stand bereits in der Tür zum Gästezimmer und beobachtete schweigend, wie Lucia zwei Dolche in die Taschen ihrer Jeans steckte und die Schlüssel für ihr Motorrad griff.

„Wohin willst du?“, durchbrach Julietta schließlich die drückende Stille.

„Bleib zu Hause, verstanden“, befahl Lucia, während sie an der Eingangstür stand. „Geh nicht raus! Mir fehlt noch, dass ich dich auch noch aus der Patsche ziehen muss!“

„Aber hier gibt es doch keine Gefahr“, widersprach Julietta, machte einen Schritt nach vorn und versuchte, Lucia aufzuhalten. „Uns droht nichts“, fügte sie mit einem nervösen Lachen hinzu.

Lucia schenkte ihr einen zornigen Blick, der jede weitere Einmischung im Keim erstickte. Erschrocken wich Julietta zurück, um nicht Ziel einer Flut wütender Worte zu werden. Nach Jahren enger Freundschaft wusste sie genau, dass es gefährlich sein konnte, sich Lucia in den Weg zu stellen. Lucia würde sie ohne Rücksicht auf ihre Stärke zur Seite schieben – nicht aus Bosheit, sondern um ihre beste Freundin vor einer drohenden Gefahr zu schützen. Doch diesmal ging es nicht um Dämonen. Um wen dann?

Lucia öffnete die Tür weit und atmete tief durch, um die in ihr brodelnde Wut zu zügeln.

„Leo ist in Gefahr“, flüsterte sie schließlich, bevor sie die Treppe hinunterrannte.

Julietta schnappte nach Luft und hielt sich die Hand vor den Mund. Sie schloss die Tür und lehnte sich zitternd dagegen.

„Wenn sie das aus dieser Entfernung spüren kann, dann…“, murmelte sie und suchte nach den richtigen Worten. „Dann ist das wohl Liebe“, flüsterte sie.

Lucia lenkte ihr Motorrad in den nördlichen Teil der Stadt und musterte die schlecht beleuchteten Gassen. Die Dunkelheit hielt sie nicht davon ab, die Gestalten der nächtlichen Spaziergänger zu erkennen: Obdachlose, die sich in schmutzige Decken gewickelt hatten, um auf der Erde zu schlafen. Straßenhunde, die in Mülltonnen wühlten, und Nachtschwärmer auf ihrem Heimweg.

„Hierher solltest du mal kommen, Pablo“, dachte Lucia schmunzelnd, als sie ihre Ducati in eine Gasse steuerte, wo Leo sich befinden sollte.

Leos Motorrad entdeckte sie drei Straßen weiter. Sie stellte ihre Ducati hinter einem Lebensmittelladen ab, schaltete den Motor aus und lauschte. In der Ferne summte ein Autofahrer fröhlich eine Melodie. Auf der anderen Seite der Straße eilte ein Buchhalter nach Hause, während er sich ängstlich umsah, als fürchte er Taschendiebe. Doch hinter dem Laden war es still. Die Verkäufer waren längst gegangen, das Licht im Gebäude war aus. Nur die überquellenden Mülltonnen und Kartonstapel erzählten von dem Treiben vor drei Stunden.

Lucia schnupperte in der Luft. Ein saurer Geruch von Verwesung lag darin. Sie kniete sich hin und berührte den nackten Boden, an dem der Asphalt abgetragen war. Die Erde trug noch die Spuren eines Dämons, den Leo besiegt hatte. Ein langer Reifenquietscher zerschnitt die Stille, als ein Auto hinter den benachbarten Häusern hielt. Autotüren klappten, und Männerstimmen begannen, über die Entdeckung einer verwesten Leiche zu diskutieren. Die Polizisten wunderten sich über den Zustand des Körpers, dessen Brustkorb derart zerstört war, dass der Tod augenblicklich gewesen sein musste. Sie spekulierten, wer die schon stark verweste Leiche in dieses Viertel gebracht haben könnte.

Lucias Instinkt führte sie nach Osten. Ihre Pupillen weiteten sich, als sie an der Wand eines dreistöckigen Hauses Spuren eines Kampfes sah: abgeschabte Steine, Kratzer von Klingen, Blutstropfen. Doch Leo hatte nicht gegen Dämonen gekämpft. Den beißenden Geruch nahm sie nicht mehr wahr.

„Engel“, schoss es ihr durch den Kopf.

Sie hob den Kopf und spürte instinktiv, dass sie aufs Dach steigen musste.

Das Gefühl von Gefahr, das Leo drohte, obwohl er weit entfernt war, überkam Lucia zum ersten Mal. Bis zu diesem Abend hatte sie noch nie eine solche Verbindung zu einem Engel gehabt, selbst nicht zu jenen, mit denen sie eng befreundet war. Diese unsichtbare Verbindung fühlte sich wie ein Impuls an, der mit jedem Schritt, den sie ihrem Ziel näher brachte, immer lauter wurde.

Engel konnten Lucias Anwesenheit ebenfalls spüren, weshalb sie schnell handeln musste.

Oben auf dem Dach verschaffte sie sich sofort einen Überblick. Neben Leo waren drei weitere Männer anwesend, alle in Lederjacken gekleidet. Einen der Männer mit langen Haaren erkannte Lucia sofort an der von ihm ausgehenden Energie – er war ein Wächter. Die anderen beiden gehörten zu anderen Kategorien von Engeln. Der Bärtige war ein Beschützer, der Langnasige ein Gesetzeshüter. Sie hielten Leo an den Armen fest und verhinderten, dass er sich losreißen konnte. Der Wächter stand ihnen gegenüber und grinste höhnisch.

Was ist hier los, Jungs? dachte Lucia. Schon lange keine Abreibung mehr bekommen? Nur weil ihr Lederjacken tragt, macht euch das noch lange nicht cool, glaubt mir.

Lucia hatte von Streitigkeiten zwischen Engeln gehört, aber sie hätte nie gedacht, dass Leo in so etwas verwickelt sein würde. Sie erinnerte sich an einen Vorfall im vergangenen Dezember, als ein Friedensstifter und ein Gesetzeshüter sich um ihren Einflussbereich stritten. Der Konflikt um ein Grenzgebiet im Süden Griechenlands, das von Nordmazedonien beansprucht wurde, hätte beinahe zu militärischen Auseinandersetzungen geführt. Letztlich übernahm ein Diplomat aus Nordmazedonien die Vermittlung. Dies passte dem Gesetzeshüter jedoch nicht, der den Streit in seinem Kompetenzbereich sah. Der Vorfall hatte zwar keine größere Aufmerksamkeit bei den Engeln in Europa ausgelöst, doch der oberste Engel, Aegor, musste extra aus Toronto nach Bitola reisen, um den Konflikt zu schlichten. Die Gesetzeshüter waren dafür bekannt, sich in Angelegenheiten einzumischen, die sie nichts angingen, aber solange sie nicht zu weit gingen, tolerierte Aegor ihr Verhalten.

Lucia wusste, dass sie die Jungs schnell ausschalten konnte. Waffen waren in diesem Fall nicht nötig. Ihre Klinge benutzte sie nur zum Töten. Um die überheblichen Engel zur Vernunft zu bringen, genügte es, ihnen zu zeigen, mit wem sie es zu tun hatten. Doch abgesehen davon interessierte Lucia, warum die Engel einen ihrer eigenen angriffen.

Der Wächter schlug Leo mit der Faust in den Magen.

„Ich will dich hier nie wieder sehen, Junge“, sagte er und strich sich eine pechschwarze Haarsträhne aus dem Gesicht, die ihm bis zu den Schultern reichte.

Als er Lucia hinter sich bemerkte, erschien ein überheblicher Ausdruck auf seinem Gesicht.

„Lasst ihn los, oder ich breche euch die Beine“, rief Lucia.

Der Wächter lachte laut, spuckte auf die Dachziegel und erwiderte verächtlich: „Du machst mir Angst, Mädchen. Wisch dir die Nase ab!“

Die anderen Engel lachten mit, doch Lucia blieb unbeeindruckt.

„Ihr habt wohl keine Ahnung, mit wem ihr es zu tun habt?“, sagte sie, bevor sie sich auf den Wächter stürzte. Sie umrundete die Männer und holte zum Schlag aus. Der Wächter wich geschickt aus, doch Lucia ließ ihm keine Zeit, sich zu erholen. Mit einem Beintritt brachte sie ihn aus dem Gleichgewicht und er fiel hart auf den Rücken. Die Dachziegel unter ihm knackten und seine langen Haare breiteten sich aus wie ein schwarzer Schleier. Lucia ballte die Faust und schlug ihm ins Gesicht. Sein Kopf kippte zur Seite und er blieb reglos liegen.

Cool bleiben, Junge, dachte Lucia mit einem kaum sichtbaren Lächeln, bevor sie sich aufrichtete. Zwei Gegner blieben noch.

„Will noch jemand eine Pause machen?“, fragte sie und drehte sich zu den anderen.

Die beiden Engel starrten sie verblüfft an. Ihre Überraschung nutzte Leo aus. Mit einem kräftigen Tritt gegen das Knie des Hüters zwang er ihn, seinen Griff zu lösen. Ein weiterer Schlag ließ den Gesetzeshüter zurücktaumeln, während er sich das blutende Gesicht hielt.

Die Engel zogen sich hastig ein paar Schritte zurück. Sie hatten erkannt, dass sie gegen zwei kampferprobte Wächter, von denen einer ein Racheengel war, keine Chance hatten.

Perfekt, dachte Lucia. Sonst hättet ihr euch auch noch hingelegt.

„Wir gehen“, sagte der Bärtige schließlich und richtete sich an Lucia.

„Natürlich werdet ihr gehen – oder besser gesagt, fliehen, wenn ihr leben wollt“, fauchte Lucia gereizt. „Und ich will euch nie wiedersehen“, rief sie und fixierte die Jungs mit einem wütenden Blick.

„In Ordnung“, ertönte eine heisere Stimme hinter ihr.

Lucia drehte sich um. Der Langhaarige war wieder bei Bewusstsein und saß bereits auf den Ziegeln. Er rieb sich den schmerzenden Hinterkopf und verzog das Gesicht.

Ohne zu zögern, ließen der Gesetzeshüter und der Hüter ihren Freund zurück und machten sich auf den Weg zum Dachluke. Innerhalb weniger Sekunden verschwanden sie aus dem Blickfeld des Racheengels, leise miteinander flüsternd.

Gute Entscheidung, Jungs, dachte Lucia und richtete ihre gesamte Aufmerksamkeit auf den Wächter.

„Ich habe nur in ihrem Revier gejagt“, erklang Leos Stimme hinter Lucia, als die beiden Männer weit genug entfernt waren, um die verbleibenden Engel nicht mehr zu hören.

„In ihrem Revier?“ Lucias Mundwinkel zog sich spöttisch nach oben. „Seit wann ist Isola dein Revier?“ Sie warf dem Langhaarigen einen missmutigen Blick zu.

„Ludovico“, stellte sich der Wächter ruhig vor und stand auf.

Er schien weder von Lucias autoritärer Stimme beeindruckt noch besorgt über die möglichen Konsequenzen, sollte er den Racheengel erneut provozieren.

Na schön, wenn du Kopfschmerzen nicht fürchtest, dann können wir noch einen draufsetzen, dachte Lucia mit einem amüsierten Schnauben.

„Als es in Mailand drei Wächter gab, teilten wir die Stadt auf, um Missverständnisse zu vermeiden“, erklärte Ludovico.

„Jetzt sind wir auch zu dritt, aber ich habe nicht vor, irgendetwas aufzuteilen“, sagte Lucia kühl.

Ludovico atmete tief ein, als wollte er Zeit gewinnen oder die richtigen Worte finden. Doch angesichts dessen, was er als Nächstes sagte, war er wohl nicht sonderlich wählerisch.

„Aber du bist doch nicht einfach nur ein Wächter“, meinte er und richtete seinen Blick auf Leo.

Endlich hat er es begriffen, dachte Lucia mit einem bissigen Lächeln.

„Und ändert das irgendwas?“, fragte sie spitz.

„Das würde es“, räumte Ludovico ein. „Ich habe viel über Racheengel gehört und weiß, dass es besser ist, sich nicht mit euch anzulegen.“ Damit schien er sein Scheitern anzuerkennen und darauf zu verzichten, in Zukunft Ansprüche auf ein bestimmtes Gebiet zu erheben. „Außerdem ziehe ich im Frühling weg.“

Hervorragend. Zieh mit dem Wind von dannen, dachte Lucia sarkastisch. Ohne dich wird die Luft hier frischer. Der große Stadtherr teilt Gebiete auf.

„Ich hoffe, wir sehen uns nie wieder“, sagte Lucia mit einem spöttischen Unterton. „Richte das auch deinen Freunden aus.“

Leo trat neben sie. Blut war auf seiner aufgeplatzten Lippe und den Knöcheln getrocknet, seine Haare standen wirr ab, und Jacke sowie T-Shirt waren mit Schmutz bedeckt.

Er sieht aus, als wäre er gerade aus einer Schlägerei auf einem Marktplatz gekommen, dachte Lucia und bemerkte erst jetzt seinen Zustand.

„Das waren nur kindische Streitereien, Lucia“, mischte sich Leo ein. „Ich hätte einen Schlag abbekommen und fertig.“

Lucia warf ihm einen ungläubigen Blick zu.

Also soll ich das nächste Mal zulassen, dass sie dich an die Wand klatschen? Sie schnaubte ärgerlich. Das ist also der Dank.

Sie ignorierte Leos Worte und wandte sich an Ludovico: „Schlägereien zwischen Engeln werden von Aegor nicht toleriert.“ Sie wollte Leo nicht vor anderen kritisieren. Das besprechen wir später, entschied sie.

Ludovico kniff die Augen zusammen. „Und wer wird das melden?“

„Sie werden es erfahren, glaub mir“, versicherte Lucia ihm und deutete damit auf Aegors allwissendes Auge.

Leo berührte sanft ihr Handgelenk. „Wie hast du das überhaupt bemerkt? Dass ich…“ Er stockte. „Dass hier etwas vor sich geht, Liebes?“ In seinen grauen Augen spiegelte sich echte Verwunderung.

„Ich habe es gespürt“, antwortete Lucia knapp.

Als Ludovico begriff, dass die beiden eine enge Beziehung hatten, pfiff er leise durch die Zähne. „Lucia ist also deine Freundin?“, fragte er Leo.

„Und wenn ja?“, konterte Leo ruhig.

„Nicht schlecht“, erwiderte Ludovico mit einem grinsenden Blick. „Nicht jeder kann einen Racheengel zur Freundin haben. Die meisten sind Einzelgänger. Mit eurem Charakter – Respekt! Aber dafür seid ihr verdammt stark!“ Er musterte Lucia und berührte dabei unwillkürlich sein noch schmerzendes Gesicht.

„Ich hoffe, wir sehen uns nie wieder“, wiederholte Lucia mit Nachdruck, bevor sie sich umdrehte und hastig zum Dachluke ging. Sie hatte keine Lust, weiter mit dem Wächter zu reden, der sich für den Herrscher von Mailand hielt, nur weil er hier seit zwanzig Jahren lebte. Die Lektion über Brüderlichkeit und Toleranz, die sie ihm selbst erteilt hatte, reichte vollkommen aus.

Leo schnalzte mit der Zunge und zwinkerte dem Wächter zu. „So ist sie eben“, flüsterte er. „Einzigartig.“ Er hob die Hand zum Abschied und folgte Lucia.

Kaum war Leo ein paar Stufen hinuntergestiegen, tauchte Lucia vor ihm auf und drückte ihn unvermittelt gegen die Wand. Ihr rechter Ellbogen presste sich gegen seine Kehle, und ihre linke Hand ballte sich zur Faust.

„Wenn du mir jemals wieder vor Fremden widersprichst, Leo, dann werde ich keine Rücksicht auf meine Gefühle für dich nehmen“, zischte sie wütend.

Leo keuchte. Der Druck ihres Ellbogens machte ihm das Atmen schwer, aber er schob sie nicht weg. Er wusste, dass Lucia ihn nicht umbringen wollte – zumindest nicht heute.

Nachdem sie ihn mit einem wütenden Blick gemustert hatte, ließ sie ihn los und stieg ohne ein weiteres Wort die Treppe hinunter.

Als sie bei der Ducati ankamen, konnte Leo sich nicht zurückhalten. „Du hast also Gefühle für mich?“, fragte er mit einem schelmischen Lächeln.

Lucia gab ein unverständliches Geräusch von sich und biss die Zähne zusammen, um nicht in Flüche auszubrechen. Sie setzte ihre Sonnenbrille auf, sprang auf das Motorrad und fuhr in Richtung Südwesten davon, ohne ein weiteres Wort zu sagen und Leo allein zurückzulassen.

Zwei Tage später rief Woldéri an. Der Mann klang eindeutig verärgert, seine Stimme hatte einen metallischen Unterton, als er Lucia nach dem Vorfall befragte. Es war verständlich, denn es ging um Streitigkeiten zwischen Wächtern, die in seinem Zuständigkeitsbereich lagen.

„Aegor hat beschlossen, den Vorfall in Mailand nicht unbeachtet zu lassen“, teilte der ehemalige Mentor mit, nachdem er Lucias Version angehört hatte.

Zum Glück ist Leo an der Universität, dachte Lucia. So muss er sich nicht die Predigten seines Aranits anhören.

Lucia hatte keine Angst vor einer Strafe durch das Gericht der Engel. Sie wusste, dass Woldéri in diesem Fall nicht per Minifon anrufen, sondern die Vollstrecker Aegors bereits in der Nacht zu ihr schicken würde, wenn es ernst wäre.

Was wollt ihr mir vorwerfen? dachte sie. Dass ich meinen ehemaligen Schüler verteidigt habe? Dass ich die mir gegebene Kraft gegen einen Engel und nicht gegen einen Dämon eingesetzt habe? Oder willst du mir wieder eine Predigt über Geduld halten, Mentor?

„Soll ich vor Gericht erscheinen?“, fragte Lucia mit gespielter Gleichgültigkeit.

Aus dem Minifon ertönte ein spöttisches Lachen. „Wenn das der Fall wäre, würde ich deine hübsche Visage schon jetzt sehen, Lucia“, antwortete Woldéri. „Nein, dein Erscheinen ist diesmal nicht erforderlich.“

„Diesmal?“, fragte Lucia und zog die Augenbrauen hoch. Also wolltet ihr mich doch vorladen und wie ein ungezogenes Kind rügen? dachte sie schmunzelnd.

„Ja“, bestätigte Woldéri. „Aber Aegor hat die Angelegenheit bereits geregelt. Ich denke jedoch, dass dich beim nächsten Mal niemand mehr decken wird, Lucia.“

„Decken?“, wiederholte sie verblüfft.

Wer hat sich auf meine Seite gestellt? fragte sie sich. Oder hat jemand die Schuld auf sich genommen?

„Ludovico Senzo ist selbst zu Aegor gegangen und hat zugegeben, dass er und seine Freunde die Initiatoren des Konflikts waren“, erklärte Woldéri.

„Ludovico?“

Lucia war überrascht. Sie hätte von dem Wächter, der noch vor kurzem Leo die Knochen brechen wollte, ein solches Verhalten nicht erwartet. Warum die Eile, sich plötzlich als ehrenhaft zu zeigen?

„Ja.“

Lucia war es eigentlich egal, was mit Ludovico geschah, doch sie konnte sich eine Frage nicht verkneifen: „Und was passiert jetzt mit ihm?“

„Er wird überleben“, sagte der Mentor mit einem leichten Lachen. „Aber es ist unwahrscheinlich, dass ihr euch noch einmal in Mailand begegnet. Was gut ist. Für dich gibt es diesmal nur eine Verwarnung“, fügte er in ernstem Ton hinzu. „Dank Ludovico. Aber Aegor hat dich jetzt im Auge. Ich werde Leo auch noch anrufen“, fügte Woldéri hinzu, bevor das Gespräch endete.

Lucia verdrehte bedeutungsvoll die Augen. Mit Aegor drohen? Der Falschen, mein Lieber. Ich bin nicht die Einzige unter den „Glücklichen“, die unter Beobachtung des obersten Engels stehen, und es ist mir herzlich egal, was er über mich denkt.

„Bis zum nächsten Mal“, verabschiedete sich Woldéri und legte auf.

Lucia warf ihren Minifon achtlos auf das Bett. Kein großer Verlust, dachte sie über Ludovico, der sein „Urteil“ wohl irgendwo am anderen Ende der Welt absitzen würde. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit dem Wesentlichen zu: der bevorstehenden Observation in Città Studi.

– Fortsetzung folgt –

Zur Autorin

Svitlana Glumm wurde in Kropywnyzkyj in der Ukraine geboren. Die 45-Jährige studierte an der dortigen Universität Geschichte und später an der Uni in Kiew Journalismus. Als Journalistin arbeitete sie über zehn Jahre für Zeitungen in Kiew und Kropywnyzkyj, sie ist Mitglied im Journalistenverband der Ukraine. Svitlana Glumm verfasste mehrere Bücher, Manuskripte und Kurzgeschichten rund um die Themen Fantasy und Mythologie. Seit April 2022 lebt sie in Solingen.

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