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Engelsklinge – Buch 1: Tödlicher Schlag (Kapitel 15.2)

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Duncan nimmt an einer Verschwörung teil.
Duncan nimmt an einer Verschwörung teil. "Engelsklinge" wurde von der ukrainischen Autorin Svitlana Glumm verfasst. (Bild: Open AI)
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Von Svitlana Glumm

Engelsklinge

Buch 1 – Tödlicher Schlag

Aus dem Russischen

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Kapitel 15.2

Die positive Einstellung von Kim half Duncan nur in der Anfangszeit, seine Niederlage zu verarbeiten. Damals, als er noch sehr jung war, beschloss er – anders als andere Wesen wie die Araniten und vor allem Angel – den Anführer von Ageor auf eine Reise zum neuen Kontinent zu begleiten. Dort, trotz des schnellen Wachstums der Städte und der Unabhängigkeit von der britischen Krone, bestand weiterhin eine reale Gefahr durch wilde Stämme.

In Amerika hoffte Duncan, Angels Aufmerksamkeit zu erregen und dadurch einen gewissen Status zu erlangen. Natürlich erfüllte er die Aufträge des Anführers nicht nur aus Eigennutz. Vor allem war er ein Engel und daran konnte niemand etwas ändern. Im Umgang mit Menschen half er im Rahmen der Regeln von Tahez, suchte aber stets Gelegenheiten, um seine eigenen Wünsche zu erfüllen. Eine solche Gelegenheit bot sich sofort nach seiner Rückkehr nach Europa.

Die Welt stand kurz vor dem Ausbruch des ersten großen Krieges der Menschheitsgeschichte, der die Grenzen vieler Staaten verändern würde. Zu dieser Zeit wurde die Position des Hauptdieners, der direkt Angel unterstand, vakant. Genauer gesagt, diese wurde durch ein tragisches Ereignis frei: Mehr als zwei Jahre vor der Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Erzherzog Ferdinand und seiner Frau Sophie Chotek durch Gavrilo Princip wurde ein Zug, der nach München unterwegs war, von Dämonen überfallen. In dem darauffolgenden Kampf, bei dem die Engel letztlich siegten, kamen jedoch mehrere von ihnen ums Leben, darunter auch der Hauptdiener.

Duncan war an diesem Tag nicht im Zug, da er sich in Spanien aufhielt. Er reiste nach München, wo ein Treffen des Ageor einberufen wurde, in der Hoffnung, dass Angel sich an seine Dienste erinnern würde und die Wahl auf ihn fallen könnte. Doch obwohl Angel seine Arbeit lobend erwähnte, fiel die Entscheidung letztendlich auf eine Frau. Duncan musste die bittere Pille der Enttäuschung ein weiteres Mal schlucken.

Yasu unterbrach die Versammlung, nachdem Wilma, die neue Hauptdienerin, eine kurze Einführung in die üblichen Abläufe gegeben hatte. Die Asiatin sprach mit kalter Stimme:
„Auch wenn dies ein reguläres Treffen ist, solltet ihr immer daran denken, dass die Dunkelheit jederzeit angreifen kann.“
Wilma nickte zustimmend und fügte hinzu: „Und am wichtigsten: Haltet eure Herzen rein.“ Mit diesen Worten deutete sie auf die Tür, was das Ende des Treffens signalisierte.

Angel beendete das Lesen eines Auszugs aus Tahez, während Duncan durch die angelehnte Tür einen Blick in den Raum warf. Dort sah er neue Gesichter – Araniten und einen Hüter. Angel saß wie gewohnt in seinem Stuhl mit der hohen Rückenlehne, die Hände auf den Armlehnen.

„Reine Zahlen, mehr nicht“, dachte Duncan, während er über seinen Grund für die Reise nach Turin nachdachte. Mit einer gezwungenen Freundlichkeit wandte er sich an einen anderen Diener am Fenster: „Alles in Ordnung“, flüsterte er mit freundlichem Ton.

Bisher hatte niemand Duncans oft aufkommenden Groll bemerkt – weder die Araniten noch Angel selbst. Doch Duncan war sich bei letzterem nicht sicher. Angel hatte ihn ein paar Mal zu Gesprächen gerufen, aber Duncan gab ausweichende Antworten. Bei einem Treffen hatte Kim das Thema Demut angesprochen, was Duncan fast dazu gebracht hätte, seinen Freund anzuschreien und von sich zu stoßen. Der Gedanke, dass Kim seinen gut verborgenen Groll durchschauen könnte, machte Duncan krank. Dennoch beschloss er, die Begegnungen mit Kim zu minimieren.

„Woher wusste Kim, dass ich wütend auf ihn bin? Oder vielleicht wusste er es gar nicht? Hat der Anführer von Ageor Kim gebeten, mit mir zu sprechen?“ Solche Gedanken schwirrten durch Duncans Kopf.

Während Kim ein guter Freund blieb, hatte er zu Angel eine viel engere Beziehung aufgebaut. Über die Zeit wurden die beiden fast wie Brüder, verbrachten viel Zeit miteinander und unternahmen gemeinsame Ausflüge.

„Kein Wunder, wenn Angel der Erste war, dem du von deiner Roberta erzählt hast, mein Freund“, dachte Duncan bitter.

Als Kim den Raum verließ, bemerkte er Duncan, der hinter der Tür stand, zwinkerte ihm zu und ging wortlos weiter.
„So leicht und unbeschwert schreibst du mich ab“, dachte Duncan wütend. „Es ist leicht, Angels Liebling zu sein, an den Versammlungen teilzunehmen und Privilegien zu genießen.“

Die Aussichtslosigkeit seiner Lage lastete schwer auf ihm. Trotz all der irdischen Freuden – das Gras unter seinen Füßen, der Sand, die fruchtbare Erde – konnte nichts die Leere füllen, die nach seinem Versagen entstanden war. Als Duncan zur Erde gekommen war, hatte er ein Ziel. Nun war es verschwunden.

Er wollte sich von der Tür zurückziehen, als Angels Stimme ihn aufhielt: „Wenn es keine weiteren Fragen gibt, seid ihr entlassen.“

Duncan beobachtete die vier Engel, die vor den Vertretern von Ageor standen. Drei davon waren Frauen um die dreißig, eine mit charmanten Locken und vollen Wangen. Doch Duncans Aufmerksamkeit galt nicht dem schönen Geschlecht, sondern einem Italiener mit einer merkwürdig aufgesetzten, unnatürlichen Miene.

„Ich habe eine Frage, Angel“, sagte der Italiener, Pablos Stimme hallte im Raum wider. Angels rauchgrauer Blick durchdrang Duncan.

„Ich höre, Pablo Fortebracce“, antwortete Angel mit einer Stimme, deren sanfter Ton nicht immer zu seinem wahren Wesen passte.

Pablo zuckte zusammen. Selbst wenn er den Hauptengel zum ersten Mal sah, verstand er sofort, dass Angels Tonfall nicht immer mit seiner wahren Einstellung zu den anderen übereinstimmte.

„Darf ich mit meinem Aranit sprechen?“, fragte Pablo mit einem erneuten Lächeln, das sein angespanntes Gesicht aufhellte, und sah zu Massimiliano.

Der Aranit der Landwirte nickte seinem Engel zu, sagte jedoch kein Wort und wartete auf die Antwort des Anführers von Ageor. Angel strich sich das Haar hinter die Ohren und für einen Moment spiegelte sich Nachsicht in seinen graublauen Augen wider.
„Natürlich, Pablo“, sagte Angel kühl und erhob sich aus seinem Stuhl. „Ihr alle könnt mit euren Araniten sprechen“, wandte er sich an die Frauen.

Mit gemessenen Schritten ging Angel zur Tür, ließ die Araniten und ihre Schützlinge im Wohnzimmer zurück.

Duncan war gleichgültig, worüber die Frauen oder Pablo sprachen. Stattdessen konzentrierte er sich auf die aufwallenden Gefühle in seinem Inneren. Das vertraute Gefühl unausgesprochener Verletztheit und stiller Verbitterung überkam ihn, erinnerte ihn an Jahre voller Enttäuschung und Demütigung. An die langjährige Freundschaft mit Kim, in der er, wenn schon nicht Freude, dann zumindest Gleichgültigkeit gegenüber dessen Status vortäuschen musste.

Nein, Kim war ein guter Mensch – ein interessanter Gesprächspartner und ein treuer Freund. Wäre da nicht Kims Sieg über Duncan gewesen, hätte er nichts gegen ihre Freundschaft einzuwenden gehabt. Aber dieser Sieg hatte eine schmerzhafte Eifersucht geweckt, eine nagende Kränkung gegenüber Ageor – oder besser gesagt, gegenüber Angel.

Der attraktive dunkelhaarige Engel hatte damals nicht zugelassen, dass der Kampf, dessen Ausgang Duncan als unfair empfand, wiederholt wurde, und gratulierte Kim direkt zum Sieg. Duncan, der Kim in Stärke in nichts nachstand, wurde in den Schatten gestellt. Der Anführer von Ageor vergaß ihn sofort, als der Blonde seinen Schwur leistete.

Duncan beobachtete mit einer Mischung aus Bitterkeit und Neugier Pablos breites, aber unheimliches Lächeln. Die Spannung im Raum wuchs, doch niemand schien das feindselige Flackern in den Augen des Italieners zu bemerken.

Vielleicht, weil in den Herzen anderer Engel kein Platz für Zorn ist, dachte Duncan und erwiderte Pablos Blick. Für einen Moment hörte Pablo auf zu lächeln, seine blassen Augen weiteten sich, und er stockte mitten in der Erzählung seines ersten Tages auf der Erde.

Duncan neigte leicht den Kopf und deutete mit einem Blick auf das Fenster, das in den Garten führte. Pablo rieb sich nachdenklich die Nase, wandte den Blick ab und setzte seine Geschichte fort.

Duncan trat von der Tür zurück, verabschiedete sich von einem Diener in der Nähe und ging zur Treppe. Er kannte die Gründe für Pablos Zorn nicht, aber er fand es tröstlich, dass jemand seine Gefühle teilte – ein Verbündeter, der seine wahren Absichten bis zum richtigen Moment verbergen konnte.

In Duncans Kopf formte sich ein Plan, dessen Umsetzung sorgfältige Vorbereitung erfordern würde. Es war nicht umsonst, dass Menschen sagten, Rache sei ein kaltes Gericht. Duncan hatte bereits lange gewartet und konnte es sich leisten, noch etwas Geduld aufzubringen.

Die Sonne war bereits untergegangen, als Duncan die Schwelle eines verfallenen Hauses am Stadtrand von Edinburgh überschritt. Angel hatte angekündigt, den Frühling in diesem regnerischen Land und den Sommer weiter südlich zu verbringen – zumindest hatte Wilma das gesagt.

Ein bitteres Lächeln spielte auf Duncans Lippen. Wie gewohnt hatte er keinen direkten Zugang zu Angels Plänen und war auf Informationen von Wilma angewiesen. Doch bald würde sich das ändern.

Der Treffpunkt war perfekt gewählt: ein zweistöckiges Haus mit morschen Balken, die bedrohlich über ihm hingen, zerbrochenen Fenstern, staubbedeckten Fensterbänken und einem verfaulten Boden, der bei jedem Schritt laut knarzen würde – zumindest für Menschen. Doch Duncan war ein Engel und bewegte sich lautlos.

Die Bewohner des Hauses hatten seine Anwesenheit längst gespürt, noch bevor er das Gebäude betrat. Ein warnendes Zischen erklang von der Seite, doch Duncan zeigte keine Angst. Sein Blut rauschte, und seine Hand wanderte instinktiv zum Dolch an seinem Gürtel. Doch er widerstand dem Drang zu kämpfen, unterdrückte die Mordlust und fokussierte sich auf sein Ziel.

Je näher er dem Sessel kam, in dem der Anführer der Verschwörer saß, desto stärker wurde der Geruch von Verfall. Augen glühten im Dunkeln, leise zischende Stimmen erfüllten den Raum – Hinweise auf die Anwesenheit anderer Dämonen.

Sie werden mich nicht angreifen, dachte Duncan, sich seiner Überlegenheit bewusst. Solange er das Gespräch dominierte, konnte er sie in Schach halten, ohne seine Reputation zu beflecken.

Der füllige Mann im Sessel überschlug die Beine und fixierte Duncan mit durchdringendem Blick. Im Licht des Mondes, das durch die kaputte Decke fiel, wirkte der Dämon kaum furchteinflößend.

Er ist einer der Höheren, schloss Duncan, da sein Körper kaum sichtbare Schäden aufwies. Mit erhobenem Kinn erwiderte er den Blick des Dämons.

„Du hast dich also entschieden“, unterbrach der Hausherr die Stille, begleitet von einem Schwall beißenden Modergeruchs.

Duncan verzog die Lippen zu einem spöttischen Lächeln.
„Was hast du denn erwartet, Giovanni? Ein Abkommen ist ein Abkommen.“

Der Dämon klickte mit der Zunge, zündete sich eine Zigarette an und beleuchtete dabei sein rundes Gesicht. „Nicht jeder traut sich, zu mir zu kommen, Junge“, sagte er mit einem höhnischen Lächeln.

Duncan schnaubte leise. Du bist ein wandelnder Leichnam, dachte er. Ihr alle seid nichts als eine Ansammlung toter Körper, wiederbelebt durch übernatürliche Kräfte.

„Aber ich habe mich getraut“, sagte er trocken.

Der Dolch, der an Duncans Gürtel hing, drückte schmerzhaft in seinen Rücken, als ob er ihn an seine Bestimmung erinnern wollte. Wie ein Brandmal, das ihn seit seiner Geburt kennzeichnete, wessen Diener er war. Wie das Siegel des Schöpfers selbst.

Doch es war nur ein Ding, ein einfacher Gegenstand, dachte Duncan und bemühte sich, die stählerne Klinge, die ihm in die Haut drückte, zu ignorieren.

„Dann lass uns reden“, sagte er kühl. Ein weiterer Schwall Zigarettenrauch flog ihm direkt ins Gesicht und Giovanni verzog seinen Mund zu einem breiten Grinsen.

Hinter Duncan ertönte ein scharfer Knall und er spannte sich instinktiv an. Doch die Kreatur, die von einem der Balken heruntersprang, hatte keine Angriffsabsichten. Sie griff nach einem alten, halb zerfallenen Stuhl und brachte ihn Duncan.

„Nein, ich bleibe stehen“, lehnte Duncan die Einladung ab.

Giovanni stieß einen lauten Atemzug aus, und erneut flackerte Zigarettenrauch vor Duncans Augen.

„Wie du willst“, sagte er beiläufig und winkte ab. Die Kreatur ließ den Stuhl in eine Ecke fallen und sprang zurück auf ihren Balken.

„Ich nehme an, du hast wenig Zeit“, fuhr Giovanni fort. „Also kommen wir gleich zur Sache.“ Er schnippte die halbgerauchte Zigarette zur Seite, und eine der Kreaturen trat hastig darauf, um sie zu löschen. „Du bittest um Hilfe und ich brauche deine. Sobald das erledigt ist, sind wir quitt. Wie lange bleibt Angel in Edinburgh?“

„Bis Juni“, antwortete Duncan.

Er wusste, dass Giovanni diese Information bereits kannte. Der Dämon wollte sie nur aus Duncans Mund hören, um sicherzugehen. Schließlich war Duncan eine verlässliche Quelle, der man kaum misstrauen konnte.

„Gut.“ Giovanni stellte seine Füße fest auf den Boden und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Dann machen wir es bis zum Sommer. Du weißt, wann der beste Zeitpunkt ist, oder?“

„Ja. Beim Vollmond. Aber wir hatten abgemacht, dass—“

„Ich erinnere mich“, unterbrach Giovanni ihn schroff. „Dir ist der andere Junge wichtig und mir das, was er bei sich hat. Kannst du garantieren, dass er während eines Frühlingsvollmonds ohne Schutz bleibt?“

„Ich denke, ja.“

„Gib mir die genaue Position durch und meine Leute kümmern sich um den Rest.“

Duncan schluckte nervös, hielt aber Giovannis durchdringendem Blick stand. Er wusste, dass es kein Zurück gab. Er durfte keine Schwäche zeigen, denn das würde die Dämonen gegen ihn aufbringen. Nicht, dass er mit ihnen nicht fertigwerden könnte – das war nicht das Problem. Doch die Sorge, dass irgendeine der Kreaturen unvorsichtigerweise plaudern und Angel von diesem Treffen erfahren könnte, war größer. In diesem Fall würde eine Reinigung wie ein Spaziergang wirken.

„Gut. Aber ich will sicherstellen, dass alles reibungslos läuft. Ich brauche Garantien.“

Ein zynisches Lächeln breitete sich auf Giovannis Gesicht aus.
„Du willst sicher sein, dass wir ihn erledigen“, fragte er spöttisch.

Duncan beobachtete schweigend, wie Giovanni nach einer weiteren Zigarette griff. Hinter ihm erklangen bösartiges Kichern und flüsterndes Murmeln der Kreaturen. Duncan schwieg, wissend, dass Giovanni bereits wusste, was er antworten würde.

„Kein Problem. Sei zur rechten Zeit da und das Spektakel ist garantiert“, sagte Giovanni und zog an seiner Zigarette. „Aber auch ich brauche etwas von dir.“ Mit einem Fingerzeig deutete er auf Duncan.

„Ich erinnere mich“, sagte Duncan ruhig.

Giovannis Augen blitzten auf.
„Schlauer Junge“, wandte er sich an die Kreaturen und das bösartige Kichern hinter Duncan wurde lauter.

„Nur du kannst in den Raum gehen, wo sich das befindet, was ich brauche, ohne großes Aufsehen zu erregen.“

Zwei Diener dabei zu töten, dachte Duncan mit kalter Klarheit, während sich seine Gedanken verdüsterten. Der Gedanke, seine eigenen Brüder im Dienst zu vernichten, ließ ihn mittlerweile vollkommen kalt.

„Ich werde tun, wie vereinbart“, sagte er schließlich.

Giovanni schnippte seine kaum angefangene Zigarette achtlos zur Seite. Dieselbe Kreatur, die zuvor die Zigarettenstummel gelöscht hatte, erledigte es wieder, diesmal mit der bloßen Hand. Der heiße Glimmstängel brannte sich in die Haut, doch der Dämon verzog keine Miene, sondern sprang behände auf.

„Hervorragend, Duncan“, sagte Giovanni zum ersten Mal, wobei er den Namen des jungen Mannes betonte. „Dann übergibst du ihm den Standort und das Buch.“ Er deutete auf den Dämon, der die Zigarette gelöscht hatte. „Und damit ist die Sache erledigt.“

Giovanni erhob sich langsam aus dem Sessel. Seine beeindruckende Gestalt überragte Duncan wie ein Goliath, der einen kleinen David ins Visier nahm.

Kein passender Vergleich, dachte Duncan düster. Wenn er Goliath ist, bin ich wohl kaum David, der Israel befreit. Oder vielleicht doch? Ein kaltes Lächeln huschte über sein Gesicht, als er den Gedanken weiterentwickelte. Ich will die Position, die mir rechtmäßig zusteht. Und der unwillkommene Saul wird die Macht an mich abtreten.

Mit diesem Gedanken verschwand der letzte Funke von Mitgefühl aus Duncans Seele. Die einstige Stimme des Gewissens verstummte für immer, und die Leere, die zurückblieb, füllte sich augenblicklich mit Finsternis.

„Ich werde nicht allein sein“, erinnerte Duncan an seinen Mitstreiter, während er Giovannis Blick festhielt.

„Ja, ja, du hast es erwähnt“, erwiderte Giovanni, während seine blassen Augen Duncan durchbohrten. Darin spiegelte sich das Bild eines Mannes wider, der nichts mehr von dem loyalen Diener hatte, der er einst gewesen war. Das Gespräch mit Giovanni hatte Duncans Entschluss endgültig besiegelt und sein schönes Gesicht brannte vor unterdrücktem Zorn.

Duncan atmete tief durch, zwang sich, die tobende Wut in seinem Inneren zu bändigen, um weiter die Rolle des gehorsamen Dieners zu spielen, wie es seine Fassade verlangte.

„Keine Sorge, wir rühren ihn nicht an“, sagte Giovanni mit einem spöttischen Lachen. Dann wandte er sich an seine Gefolgsleute: „Wir gehen!“ Seine Stimme grollte durch das alte Gebäude.

Duncan trat beiseite, um Giovanni den Weg freizugeben und rührte sich nicht, bis der Geruch von Verwesung allmählich aus dem Raum verschwand und das erste Licht des Tages den Horizont erhellte.

Er wartete. Wartete darauf, dass der Zorn, den er heraufbeschworen hatte, ihn vollständig formte, ihn zu einem neuen Duncan machte – einem, der erschreckend, voller Hass und tödlich gefährlich war.

Nichts und niemand würde ihm nun mehr den Weg zur endgültigen Rache versperren. Alle Gefühle, die ihn zuvor belastet hatten – Reue, Traurigkeit oder Bedauern – waren wie ausgelöscht. Nur Verbitterung und Hass blieben zurück, genährt von der Ungerechtigkeit, die ihm widerfahren war.

Duncan blinzelte, verdrängte die Bilder und die wenigen positiven Erinnerungen – die sie noch ausstrahlten – und schwor, die Vergangenheit endgültig zu vergessen.

Ein überlegenes Lächeln huschte über seine Lippen. Mit betont schwerem Schritt stieg er die knarrenden Holztreppen hinab, öffnete die knarzende Tür und trat hinaus in den frühen Morgen, in dem die Vögel lautstark ihr Lied anstimmten.

– Fortsetzung folgt –

Zur Autorin

Svitlana Glumm wurde in Kropywnyzkyj in der Ukraine geboren. Die 45-Jährige studierte an der dortigen Universität Geschichte und später an der Uni in Kiew Journalismus. Als Journalistin arbeitete sie über zehn Jahre für Zeitungen in Kiew und Kropywnyzkyj, sie ist Mitglied im Journalistenverband der Ukraine. Svitlana Glumm verfasste mehrere Bücher, Manuskripte und Kurzgeschichten rund um die Themen Fantasy und Mythologie. Seit April 2022 lebt sie in Solingen.

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