![Engelsklinge Kapitel 19.3 Lucia sucht Entspannung und findet sie bei mehreren Gläsern Scotch.](https://solingenmagazin.de/wp-content/uploads/Engelsklinge-Kapitel-19.3-640x443.jpg)
Von Svitlana Glumm
Engelsklinge
Buch 1 – Tödlicher Schlag
Aus dem Russischen
Kapitel 19.3
Das Mädchen lächelte, zog das Gericht zu sich heran und legte Essen auf ihren Teller. Nach dem Schlaf fühlte sie sich energiegeladener, die Wunde an ihrem Handgelenk war fast verheilt. Noch ein paar Stunden und es würde keine Spur mehr davon bleiben. Lucia wurde nicht mehr von Kopfschmerzen gequält. Ihr Gesicht sah bestimmt schon wieder ganz normal aus, dachte sie, sodass sie sich am Flughafen zeigen konnte. Ich werde es überprüfen, sobald ich einen Spiegel erreiche.
Sie tunkte ein Stück Fleisch in Tomatensauce, legte es in den Mund und kaute gründlich. Ihr Körper verlangte danach, alles sofort zu verschlingen, aber Lucia hatte sich angewöhnt, langsam zu essen. Eine Regel, die Woldéri ihr während der Vorbereitung auferlegt hatte – sie half ihr wirklich, sich nicht zu überessen. Leo richtete sich ein wenig auf, nahm eine Flasche und schenkte Whiskey ein, gerade so, dass er den Boden der Gläser bedeckte.
„So hättest du es gleich machen sollen, mein Lieber, anstatt mir zu erzählen, dass Ageor als Erster verschwunden ist“, sagte das Mädchen und leerte das Glas in einem Zug. „Huh…“ Sie atmete aus, spürte, wie der Scotch in ihren Körper eindrang, sich in ihren Adern ausbreitete und sie wärmte.
Lucia goss erneut Whiskey in ihr Glas und trank. Dann noch einmal.
„Hast du Juliette und Roberta gesehen?“, fragte sie, nachdem die Scotchflasche halb leer war.
Leo zog die Flasche zu sich heran – er war der Meinung, dass es für Lucia heute genug war.
Das Mädchen schnaubte und griff nach der Flasche. Du gibst dich wichtig, willst nicht, dass man dich mit einem betrunkenen Mädchen sieht, dachte sie. Vergessen, den Umhang aufzusetzen, Superheld.
Der junge Mann schüttelte den Kopf und zeigte damit, dass er nicht begeistert war, dass Lucia sich weiterhin mit Alkohol volllaufen ließ. Schließlich hatte sie außer einem Stück Lamm nur Scotch im Magen.
Sie warf Leo einen unzufriedenen Blick zu, nahm aber dennoch die Gabel und aß weiter. Na gut, dachte sie schmunzelnd, ich bekomme sowieso, was ich will. „Juliette ist mit Woldéri weggefahren“, antwortete Leo in der Hoffnung, dass Lucia die Idee mit dem Whiskey aufgab.
Das Mädchen lehnte sich in ihrem Sessel zurück. Deine große Stunde ist gekommen, Mentor, dachte sie amüsiert. Du warst lange genug das dritte Rad am Wagen. „Und Roberta hat den Palast gerade verlassen“, fuhr Leo fort. „Ludovico ist mit ihr gegangen.“
„Perfekt“, sagte Lucia und schob ihren Stuhl näher an den Tisch. Ein schrilles Quietschen erklang, als die Metallbeine über den Marmorboden schabten. Leo verzog das Gesicht, sagte aber nichts und blieb ein schweigender Beobachter. Er nahm sein Glas und trank den Inhalt langsam aus, dann aß er ebenso langsam weiter. Einige Minuten verstrichen in tiefer Stille, unterbrochen nur durch das Klappern der Gabeln auf den Tellern. Lucia leerte ihren Teller und streckte Leo ihr Glas entgegen. „Und jetzt nachspülen“, forderte sie kokett und blinzelte ihm zu.
Natürlich hätte sie die Flasche einfach an sich nehmen und den Rest selbst austrinken können, aber die angenehme Wärme, die sich durch das Essen und den Alkohol in ihrem Körper ausbreitete, sowie ihr Unwille, eine Auseinandersetzung zu beginnen, ließen sie auf ihrem Platz verharren.
Widerwillig nahm der junge Mann die Flasche und schenkte nur einen winzigen Schluck ein.
„Geizhals!“, schnaubte Lucia beleidigt und nahm das Glas.
Plötzlich flog die Tür zum Schlafzimmer auf und ein aufgeregter Gilbert stürmte in den Raum.
Das Mädchen sah den jungen Mann fassungslos an. Du wirst sicher einen Grund haben, so etwas zu tun, schoss es ihr durch den Kopf. Und das nicht zum ersten Mal, seit wir im Palast sind.
Leo erhob sich aus seinem Sessel und nickte dem Diener zu, der so dreist ins Schlafzimmer eingedrungen war.
„Hat dir niemand beigebracht, anzuklopfen?“, spottete Lucia.
Sie sprang auf und wollte sich ins Badezimmer flüchten. Es fehlte gerade noch, dass er sie dabei sah, wie sie versuchte, ihrem eigenen Freund die Whiskeyflasche aus der Hand zu reißen.
„Scheint, als wäre es dir zur Gewohnheit geworden, Damen zu überraschen“, meinte Lucia und deutete auf das Laken, das ihre einzige Kleidung war.
Der Diener schwieg.
„Was ist los, Gilbert?“, unterbrach Leo die Stille im Raum. Im Gegensatz zu Lucia war er entschlossen herauszufinden, warum der junge Mann sich solche Freiheiten erlaubt hatte.
Gilbert atmete schwer, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und sagte schließlich:
„Leute, es ist passiert – genau das, wovor wir uns gefürchtet haben.“
Er verstummte kurz, bevor er weitersprach:
„Heute Morgen in Kroatien, in der Nähe von Dubrovnik… Ich erinnere mich nicht genau an den Ort…“ Er warf einen Blick auf Lucia. Ihr missmutiger Gesichtsausdruck zeigte deutlich, dass sie nicht begeistert war, beim Essen gestört zu werden. Also beeilte er sich, die wichtigsten Informationen loszuwerden, bevor sie ihn auffordern konnte zu gehen.
„Egal“, winkte Gilbert ab. „Auf einer der Straßen sind plötzlich alle Fahrzeuge innerhalb eines Radius von fünfzig Kilometern verschwunden.“
Er verstummte.
Aus Lucias Brust entrang sich ein gedämpftes Stöhnen. Die Kreaturen hatten sie überlistet und genossen nun ihren Sieg, erfreuten sich an den Qualen und dem grausamen Tod der Menschen, die nichts anderes falsch gemacht hatten, als nachts auf einer bestimmten Straße unterwegs zu sein. Der ersten von vielen.
„Verdammte Straße“, rief Lucia wütend und stampfte mit dem Fuß auf. Die Gegenstände auf dem Tisch erzitterten, Gilbert zuckte fast zusammen. Unwillkürlich machte er ein paar Schritte rückwärts in Richtung Ausgang. Nur Leo blieb regungslos stehen – er war es gewohnt, dass Lucias laute Stimme oft ein Nachspiel hatte. „Na dann, ich bin weg“, sagte der Diener und entschied, das Schlafzimmer zu verlassen, bevor sich der Racheengel so richtig in Rage brachte.
In der Tür erschien Marjorie und Gilbert, der rückwärts aus dem Raum gehen wollte, stieß mit ihr zusammen. Seine dichten Augenbrauen schnellten nach oben, sein Mund öffnete sich leicht. Er drehte sich um. Marjorie rieb sich die Schulter, gegen die er geprallt war, packte Gilbert am Arm und zog ihn aus dem Zimmer. „Ich habe mich schon gefragt, wo du steckst“, zischte sie ihn an. Ihr Blick glitt über Lucia, die barfuß und nur in ein Laken gehüllt vor ihr stand.
„Verzeihung“, wandte sich Marjorie an Lucia. „Dieser Trottel hat immer noch nicht gelernt, sich nicht in Dinge einzumischen, die ihn nichts angehen.“ Sie verdrehte genervt die Augen. „Wir haben ohnehin genug zu tun. Wir müssen aufräumen. Ab Montag kommen die Touristen, und wenn wir Unordnung hinterlassen, wird nicht nur Gilbert Ärger von Charlotte bekommen, sondern wir alle.“
„Schon gut, Marj“, winkte Lucia ab. „Aber sag mal, mit welchen Strafen droht euch die strenge Charlotte denn?“ Sie konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Die Schottin schwieg und schloss die Tür hinter sich, ließ Lucia und Leo allein zurück. Lucia nutzte den Moment der Ablenkung, während Leo noch über Gilberts Worte über die in der Nacht verstorbenen Menschen nachdachte. Sie ging zum Tisch, griff nach der Scotchflasche, zog den Korken heraus und nahm einen Schluck.
„Uff, das haut rein“, grinste sie.
Leo fuhr zu ihr hin, doch sie sprang geschickt zum Fenster.
„Mmmh, du bist so ein Langweiler, Leo“, meinte sie und hob die Flasche an die Lippen. „Du erinnerst dich doch, was ich gesagt habe.“ Sie nahm noch einen Schluck, wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. „Wir werden Edinburgh nicht verlassen, ohne Scotch probiert zu haben“, sagte sie entschlossen und drückte die Flasche an ihre Brust. Der Alkohol begann zu wirken – Lucias Wangen röteten sich, ihre Augen glänzten, und ihr Kopf begann zu schwirren.
„Probieren, nicht sich betrinken, Lucia“, tadelte Leo sie.
Das Mädchen schüttelte den Kopf, ihre Haare fielen wild über ihre entblößten Schultern. Sie nahm noch einen Schluck, leckte sich über die Lippen und zwinkerte Leo zu. Doch plötzlich verschwamm ihr Blick, sie schwankte leicht, konnte sich aber gerade noch auf den Beinen halten.
Sie hob die Flasche mit einer feierlichen Geste in die Luft.
„Na gut, ein bisschen bleibt dir ja noch.“ Mit ernster Miene hielt sie die Flasche ins Licht und musterte den Inhalt fachmännisch.
„Oh!“ Lucias Mund öffnete sich vor Staunen, als sie bemerkte, dass sie fast die ganze Flasche geleert hatte. Sie stieß einen überraschten Laut aus.
„Ups.“ Sie hielt sich die Hand vor den Mund. „Keine Sorge“, zuckte sie mit den Schultern, „es bleibt noch was für dich übrig.“
Leo seufzte schwer, sprang nach vorne und entriss ihr die Flasche, bevor sie auch noch den letzten Tropfen hinunterkippen konnte.
„Lass mir was übrig“, grinste er, versteckte die Flasche hinter seinem Rücken.
Lucia hatte es satt, sich mit ihm über ihren Alkoholkonsum zu streiten, und seufzte genervt.
„Na schön, behalt sie“, murrte sie. Sie drehte sich um, machte eine demonstrative Schnute und setzte sich in Bewegung, um ins Badezimmer zu gehen. Doch plötzlich begann die ganze Möbel im Raum vor ihren Augen zu kreisen, ihre Beine fühlten sich wie Watte an, und sie schwankte.
Was für ein Scotch, dachte sie belustigt.
Leo fing sie auf, schlang einen Arm um ihre Taille und zog sie an sich. Lucia legte ihren Kopf gegen seine Brust und schlang die Arme um seinen Hals.
„Du weißt doch, dass unser Herz schneller schlägt als das der Menschen – wir werden deshalb schneller betrunken“, erinnerte Leo sie, während er die Flasche auf den Kamin stellte. „Und er wirkt bei uns stärker.“
Er versuchte ernst zu bleiben, doch als Lucia erneut einen kleinen Schluckauf bekam, konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen.
„Dafür werden wir aber auch schneller wieder nüchtern“, sagte Lucia und hob ihren Zeigefinger in die Luft. Dann vergrub sie ihr Gesicht in Leos Brust.
„Diese Bastarde… haben Menschen… getötet…“, flüsterte sie zwischen ihren Schluckaufanfällen.
Leo strich ihr sanft über das Haar.
„Ja“, sagte er ruhig, „aber wir werden sie vernichten.“
„Auch wenn ich… Menschen nicht sonderlich mag… so etwas…“
„Deshalb fängst du mit deiner Arbeit an, sobald wir nach Mailand zurückkehren“, meinte Leo. „Nur nicht in diesem Zustand.“ Er grinste. „Ein betrunkener Racheengel wird wohl kaum einen Dämon töten – er würde es kaum bis zum Bett schaffen.“
Lucia löste sich von ihm und warf ihm einen strengen Blick zu.
„Nein“, sagte sie gedehnt. „Da irrst du dich.“
Sie drehte sich um und ging in Richtung Badezimmer, entschlossen, ohne fremde Hilfe ans Ziel zu gelangen und Leo zu beweisen, dass er sie falsch einschätzte.
„Ich nehme einfach eine Dusche und bin wieder fit.“
Sie hatte kaum die Hälfte des Raumes durchquert, als sie stolperte und beinahe auf den Boden fiel. Doch in einem Wimpernschlag war Leo zur Stelle, fing sie auf und hielt sie an der Taille fest.
„Eine der praktischen Seiten der Blitzgeschwindigkeit“, kicherte Lucia.
„Und ich dachte schon, wofür ich das brauche“, erwiderte Leo augenzwinkernd. „Damit ich meine Freundin vor neuen blauen Flecken rette.“
Er hob Lucia hoch, trug sie ins Badezimmer und stellte sie in die Duschkabine. Dann riss er ihr das Laken ab und drehte das Wasser auf.
Lucia schrie auf und wollte aus der Kabine springen, doch Leo schloss die Glastür vor ihr.
„Mistkerl!“, kreischte sie und trommelte mit den Handflächen gegen das Glas. „Das Wasser ist eiskalt!“ Leo lehnte sich mit verschränkten Armen in den Türrahmen und betrachtete Lucia mit einem amüsierten Blick.
„Es ist kühl“, korrigierte er sie. „So kommst du schneller wieder zu dir.“
Als das kalte Wasser auf ihre Haut traf, bekam Lucia eine Gänsehaut. Wie eine Weihnachtsgans, dachte sie verärgert und warf einen Blick auf ihre Arme.
Obwohl sie leicht zu zittern begann, war der Rausch wie weggeblasen. Ihr Kopf fühlte sich klarer an, und sie stand wieder sicher auf den Beinen. „Und du grinst auch noch, Sadist! Macht es dir Spaß, mich so zittern zu sehen?“ fragte sie fröstelnd.
„Wer hält dich denn davon ab, das Wasser wärmer zu drehen?“, erwiderte Leo spöttisch.
Lucia blinzelte, dann schüttelte sie den Kopf.
„Stimmt eigentlich.“ Sie drehte den Hahn und seufzte erleichtert. Die warmen Wasserstrahlen liefen über ihre Haare und ihren Körper, und sie schloss die Augen.
„Ein Traum“, murmelte sie genüsslich.
Leo wandte sich zum Gehen.
„Ich gehe zu Tom“, informierte er sie. „Ich schaue nach ihm. Übrigens, unser Flug geht heute Nacht. Wir fliegen zusammen.“ Lucia griff nach dem Shampoo, drückte eine kleine Menge in die Hand und begann, sich die Haare einzuschäumen.
„Aber seine Fragen beantworten wir erst zu Hause“, sagte sie, während sie unter das Wasser trat und den Schaum ausspülte. Unter ihren Füßen bildete sich eine weiße Lache aus Seifenblasen.
„Da sind wir uns einig“, kam Leos Stimme aus dem Schlafzimmer.
„Wann hast du die Tickets gekauft?“, fragte Lucia neugierig, während sie mit den Fingern durch ihr Haar strich, um das Shampoo restlos auszuwaschen.
„Heute Morgen“, antwortete Leo. „Nach der Besprechung.“
Lucia lächelte.
Ach, Leo, du bist so vorausschauend, dachte sie und griff nach dem Duschgel.
„Was würde ich nur ohne dich tun, mein Lieber?“ sagte sie laut.
Aus dem Schlafzimmer ertönte amüsiertes Lachen.
„Böden schrubben – zusammen mit Marj und Gilbert“, erwiderte Leo und lachte erneut.
„Niemals“, protestierte Lucia. „Das stand nicht in meinem Vertrag, als ich auf die Erde kam.“ Sie prustete los.
„Okay, ich bin dann mal weg“, sagte Leo.
„Bring mir Kaffee mit, Liebling“, rief Lucia hinterher. „Ohne dieses Getränk ist mein Regenerationsprozess unvollständig. Wenn jemand seinen Körper kennt, dann ich.“
Sie drückte Duschgel in die Handfläche und rieb es zwischen den Händen, bis es schäumte.
„Das habe ich bereits beim Scotch gesehen“, entgegnete Leo trocken.
Durch das Rauschen des Wassers hörte Lucia, wie sich die Tür zur Wohnung schloss.
„Ach, du verstehst einfach nichts, Junge“, schmunzelte sie und zuckte mit den Schultern. „Jeder hat seine eigenen Bedürfnisse.“
– Fortsetzung folgt –
Zur Autorin
Svitlana Glumm wurde in Kropywnyzkyj in der Ukraine geboren. Die 45-Jährige studierte an der dortigen Universität Geschichte und später an der Uni in Kiew Journalismus. Als Journalistin arbeitete sie über zehn Jahre für Zeitungen in Kiew und Kropywnyzkyj, sie ist Mitglied im Journalistenverband der Ukraine. Svitlana Glumm verfasste mehrere Bücher, Manuskripte und Kurzgeschichten rund um die Themen Fantasy und Mythologie. Seit April 2022 lebt sie in Solingen.