Website-Icon Das SolingenMagazin

Engelsklinge – Buch 1: Tödlicher Schlag (Kapitel 6.2)

Im Hof des Palazzo Medici in Florenz misst sich Lucia mit Massimiliano, der selbst ein Engel ist. "Engelsklinge" wurde von der ukrainischen Autorin Svitlana Glumm verfasst. (Bild: Open AI)

Im Hof des Palazzo Medici in Florenz misst sich Lucia mit Massimiliano, der selbst ein Engel ist. "Engelsklinge" wurde von der ukrainischen Autorin Svitlana Glumm verfasst. (Bild: Open AI)

Von Svitlana Glumm

Engelsklinge

Buch 1 – Tödlicher Schlag

Aus dem Russischen

Kapitel 6.2

Nachdem Lucia am Dom Santa Maria del Fiore vorbeigefahren war, kam sie zur Cavour-Straße. Sie hielt ihr Motorrad vor einem Palazzo an. Das Gebäude mit dem hervorspringenden Gesims und dem hohen Sims auf dem Dach stach durch seine Eleganz unter den benachbarten Bauten hervor. Jeder der drei Stockwerke des Palazzos hatte eine eigene Gestaltung: unten grober Stein, dann glatte Platten, die unter dem Dach in Marmor übergingen.

Hinter Lucia waren Schritte zu hören.

„Michelozzo hat wahrhaft ein Meisterwerk der Frührenaissance geschaffen“, sagte Roberta und nannte den Architekten des Palazzos. Costanzo folgte dem Mädchen und lauschte jedem ihrer Worte. Ach, diese sehnsüchtigen Blicke, dachte Lucia. Du versuchst nicht einmal, dein Interesse zu verbergen und wirst alles schlucken, was dir dieser charmante Inspirator erzählt.

Lucia musterte das Gebäude abschätzend. Falls Woldéri auf die Idee kommen sollte, den Bergsteiger zu spielen, musste sie herausfinden, von welcher Seite es einfacher wäre, aufs Dach zu gelangen.

Lucia holte ein kleines Telefon aus ihrer Tasche. Es gab keine neuen Nachrichten von ihrem ehemaligen Mentor und sie seufzte schwer. Was kommt als Nächstes, Woldéri, dachte das Mädchen und steckte das Telefon weg.

Die anderen holten Lucia ein. Costanzo sah sich um. „Ich sehe keine Touristen. Normalerweise wimmelt es hier immer von ihnen“, sagte er überrascht. „Ah, jetzt verstehe ich“, fügte er gedehnt hinzu und zeigte auf ein kleines Schild neben dem Gebäude. „Restaurierungsarbeiten. Und wie kommen wir rein?“

Lucia verdrehte genervt die Augen. „Wir gehen durch den Hof“, seufzte sie erschöpft. Wenn keine weiteren Anweisungen kamen, lag die Entscheidung bei ihnen. Also willst du ein anderes Spiel spielen, Mentor? Das Mädchen biss sich verärgert auf die Unterlippe. Sie hatte keine Ahnung, was Woldéri im Schilde führte, aber es war typisch für ihn – raffiniert. Na gut, wir werden die Statue sehen, und dann?

Kaum hatten sie den von Arkaden umgebenen Innenhof betreten, blieb Costanzo plötzlich stehen. „Was ist los?“ fragte Roberta. Lucia konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Sie spürte die Anwesenheit anderer Engel, sobald sie die Schwelle des Gebäudes überschritten hatte. Sie beobachteten die Ankömmlinge, ohne aus ihren Verstecken zu kommen. Ein Versteckspiel also, dachte Lucia sarkastisch und du hast auch noch Freunde eingeladen. Obwohl das Mädchen verstand, dass dies nur eine Abwehrreaktion war, wenn sie sich in einer Situation befand, die sie nicht kontrollieren konnte.

„Engel“, antwortete Lucia anstelle des Jungen und ging weiter, um keine Verdacht zu erregen, dass sie die Beobachter entdeckt hatten.

Roberta schauderte und leckte sich nervös die Lippen. „Warum verstecken sie sich“, fragte sie verwirrt. Costanzos schmale Schultern zuckten. „Vielleicht testen sie uns“, mutmaßte er über das Geheimnis der anderen Engel.

Lucia sah sich um, um die Situation zu bewerten. Die Gastgeber könnten von allen Seiten auftauchen. Sie könnten vom Dach springen oder sich hinter den Säulen verstecken. Wenn es das zweite wäre, dann könnte sich nur ein Engel hinter einer Säule verstecken, dem Säulendurchmesser nach zu urteilen.

Ein kaum hörbarer Seufzer kam von oben, und das Mädchen lief zu den Arkaden. Sie schaute hinter einer Säule hervor und winkte den anderen, sich in Deckung zu begeben. Roberta war sofort neben Lucia und stellte sich hinter sie. Ihr erschrockener Blick und das schnelle Atmen verrieten die innere Unruhe des Inspirators, obwohl Roberta versuchte, es zu verbergen. Im Gegensatz zum Inspirator blieb Costanzo stehen und hob den Kopf, um den grauen Himmel zu betrachten, der quadratisch über dem Innenhof zu sehen war.

Also willst du gegen deinesgleichen antreten, dachte Lucia schmunzelnd. Hast du deine Kräfte richtig eingeschätzt? Du bist weder ein Racheengel noch ein Wächter, aber du verhältst dich, als ob du es wärst.

Von oben ertönte ein gedämpftes Lachen. Lucia schaute zum Dach hinauf. Wer bist du, dachte sie ärgerlich über die Verspottung.

Nur jemand, der seiner eigenen Stärke sicher war, konnte einem Racheengel entgegentreten, dessen Macht entweder gleichwertig oder größer sein musste. Die riesige Kraft, die von allen Seiten spürbar war, hätte die Gäste schon längst unter den Ruinen des Palazzos begraben können, hätten die Gastgeber sie wirklich zerstören wollen.

Wir werden uns wohl mit euch abfinden müssen, dachte Lucia düster. „Erreicht euer Ziel!“ Die Stimme eines Jungen hallte von oben und die Luft begann zu vibrieren. Lucia ballte die Fäuste und spannte sich an, bereit für einen Angriff.

Der Inspirator lächelte. „Wir sind doch schon da!“

Naivität ist nicht gerade deine beste Eigenschaft, dachte Lucia und verdrehte genervt die Augen. „Komm her“, rief sie den Jungen hinter der Säule. „Gleich wird es ernst.“

Costanzo rührte sich nicht und ignorierte Lucias Warnung. „Dann bist du selbst schuld, Dummkopf“, murmelte Lucia und gab auf, den Jungen davon abzubringen, sich in den Augen der Mädchen als Held zu präsentieren.

In der Zwischenzeit betrachtete Roberta aufmerksam die Statuen von David, die im Innenhof aufgestellt waren. Lucia folgte ihrem Blick und legte die Hand auf Robertas Schulter. „Welche?“ Das Mädchen konnte es kaum erwarten, die richtige Statue zu finden, um den Angeber da oben zum Schweigen zu bringen.

Mit Schwertern in den Händen standen beide Davids über dem Kopf Goliaths und symbolisierten den Sieg über die eigene Angst. Doch die Statuen unterschieden sich voneinander, nicht nur in der Kleidung und den Posen, in denen sie dargestellt wurden, sondern auch in den Gesichtsausdrücken. Während der erste nachdenklich wirkte, zeigte das Gesicht des zweiten Freude.

Plötzlich schwankte die Luft und Costanzo wurde gegen die Wand geschleudert. Roberta drehte sich zum Geräusch um und machte einen Schritt, um dem Jungen zu Hilfe zu eilen, doch Lucia zog sie am Arm zurück. Das Mädchen schaute erstaunt auf den Racheengel.

„Willst du die Nächste sein“, flüsterte Lucia und schmunzelte. „Bitte“, sagte sie und streckte die Hände aus, als wolle sie dem Inspirator freie Hand lassen, um das „freundliche Willkommen“ der Gastgeber zu spüren.

Roberta presste ihre Lippen fest zusammen. „Nein“, sagte sie und entschied, in Sicherheit zu bleiben. Ihr schwarzes Haar wippte im Takt der Kopfbewegung. „Ich bleibe hier“. Und auf ihren Lippen erschien ein schuldiges Lächeln. „Du weißt es wohl besser“, gab Roberta Lucias Fähigkeiten als Wächterin zu.

Richtig so, Mädchen, dachte Lucia. Bleib lieber da, wo du alles beobachten kannst. Dann wirst du alle Teilnehmer der Begegnung sehen und sie werden sich früher oder später zeigen, wenn wir sie nervös machen. Die Gastgeber erwarten, dass wir uns an einem sichtbaren Ort aufhalten, wie dieser dumme Inspirator, um uns anzugreifen. Ihr habt euch mit den Falschen angelegt, dachte sie verächtlich.

Ein lockiger, blonder Mann trat hinter einer Säule hervor und schlenderte langsam in die Mitte des Innenhofs.

„Da ist der Erste“, sagte Lucia und ihre Mundwinkel zuckten leicht nach oben.

„Komm raus, Lucia“, rief der Blonde, der zu der Säule blickte, hinter der sich die Mädchen versteckten. „Lass uns reden“, sagte er und blieb stehen.

„Von wegen“, dachte Lucia mit einem spöttischen Lächeln. „Ich bin nicht wie Costanzo, so leicht kriegt ihr mich nicht. Sie haben sich den Stärksten von uns ausgesucht. Das wird nicht funktionieren.“

Die Überlegenheit, die von dem Jungen ausging, war mit der Stärke eines Racheengels vergleichbar.

„Du willst dich mit mir messen, Blondie“, dachte Lucia zufrieden, als ihr klar wurde, dass sie endlich einem ebenbürtigen Gegner gegenüberstand.

„Ich warte, Lucia“, beharrte der Junge.

„Du erweckst nicht mein Vertrauen“, dachte Lucia. „Deine Freunde sind sicher schon bereit, mich anzugreifen.“

Doch außer dem Blonden war niemand im Hof zu sehen. Auch Schritte, die auf einen Angriff von hinten hindeuten könnten, hörte sie nicht.

Nach kurzem Zögern entschloss sich Lucia, ihr Versteck zu verlassen. „Wenn wir nichts unternehmen, zieht sich diese Show bis in den späten Abend“, dachte sie und rechtfertigte ihren Entschluss.

„Bleib hier“, befahl sie Roberta, dem Inspirator, und trat hinter der Säule hervor.

„Dich muss man besser ausschalten, Blondie“, überlegte sie weiter und ging in die Mitte des Hofes. „Waffen werden bei diesem Treffen nicht funktionieren.“

Ein großer Vorteil für Lucia war, dass kein anderer Engel ihre Gedanken lesen konnte, was sie geschickt ausnutzte. Lucia lächelte freundlich, um den Blonden nicht auf ihre Absichten aufmerksam zu machen. Genau das geschah.

Der Junge streckte die Hand zur Begrüßung aus. Sie musste schnell handeln, was sie auch tat. Als sie nah genug bei ihm war, ergriff Lucia sein Handgelenk. Mit einem Schlag ihrer Handkante auf sein Ellbogengelenk drehte sie seinen Arm hinter seinen Rücken. Dann trat sie mit der Spitze ihres Sneakers gegen seine Beine, sodass der Engel auf die Knie fiel, und legte ihren linken Arm um seinen Hals. Instinktiv griff der Blonde mit seiner freien Hand nach Lucias Handgelenk, um nicht am Würgegriff zu ersticken.

„Vorsichtig“, krächzte er und verzog das Gesicht vor Schmerz.

„Warum leistest du keinen Widerstand, Blondie?“, fragte sich Lucia misstrauisch. „Wir könnten zumindest kämpfen. Wo ist der Haken?“

Bevor sie die Antwort finden konnte, stürzte ein Mädchen mit aschblondem, fest geflochtenem Haar hinter einer Säule hervor. Sie rannte auf Roberta zu und schlug ihr in den Rücken. Die Beine der Brünetten gaben nach, und sie stürzte zu Boden, gerade noch rechtzeitig, um ihr Gesicht mit den Händen zu schützen.

„Tja, was will man von Inspiratoren erwarten“, dachte Lucia und schmunzelte. Ein Stöhnen kam aus Robertas Brust.

Costanzo eilte zu der Angreiferin und ballte die Fäuste, bereit zum Zuschlagen. Doch das Mädchen packte einen der Orangenbäume, die in Töpfen in den Ecken des Hofes standen, und schleuderte ihn nach dem Jungen. Der Inspirator fing den Topf geschickt auf und stellte ihn vorsichtig auf den Boden.

„Gut gemacht, du beschützt die Natur“, dachte Lucia schmunzelnd, „aber vergiss nicht, dich selbst zu schützen.“ Kaum hatte der Junge sich aufgerichtet, als hinter ihm ein weiterer Engel auftauchte. Es war eine Asiatin, wie ihre Gesichtszüge und die schmalen Augen verrieten. Das kleine Mädchen machte einen Salto in der Luft und landete vor Costanzo, trat ihm in die Brust und schleuderte ihn gegen die Wand. Mit einem dumpfen Schlag fiel er zu Boden.

„Vielleicht sollten wir unser Ziel erreichen, und dann lassen sie uns in Ruhe“, überlegte Lucia. Und da sie den Blonden von einem Angriff abhielt und Costanzo für alle den Schaden einsteckte, war Roberta die Einzige, die diese Farce beenden konnte. Das Mädchen stand bereits wieder auf den Beinen und rieb sich den schmerzenden Ellbogen.

„Roberta, welche Statue?“ fragte Lucia den Inspirator und beschloss, keine Zeit zu verschwenden.

„Ich glaube, diese hier“, antwortete Roberta und zeigte auf die Statue von David mit dem Hirtenhut und dem nachdenklichen Gesicht.

„Dann lauf“, rief Costanzo. Er sprang auf die Beine und duckte sich sofort, um einem weiteren Schlag der Asiatin auszuweichen.

Roberta rannte zur gewünschten Statue. Plötzlich blieb sie stehen. Sie drehte sich um und blickte den Blonden an, dessen Lippen von einem sarkastischen Grinsen umspielt wurden.

„Roberta“, schrie Lucia ungeduldig. „Muss ich das auch noch für dich erledigen?“

In der Zwischenzeit hatte die Asiatin Costanzos Arme hinter seinem Rücken verdreht. Der Engel mit den aschblonden Haaren trat hinzu und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Aus Costanzos Nase spritzte Blut, und er schrie auf und senkte den Kopf. Die Asiatin nutzte die Gelegenheit und verdrehte ihm erneut die Arme hinter dem Rücken, um ihn festzuhalten.

Die Blondine schaute zu Lucia. „Lass Massimiliano los!“, forderte sie den Racheengel auf. „Sonst wird dein Freund noch mehr abbekommen!“

„Welcher Freund?“, fauchte Lucia verärgert. „Wir mussten nur zusammenarbeiten. Fass ihn nicht an, Süße, sonst werde ich dich erwischen und dir deinen Zopf ausreißen!“ Sie verstärkte ihren Griff um den Hals des Blonden.

Massimiliano keuchte.

Ein Geräusch lenkte Lucias Aufmerksamkeit ab. Sie drehte sich um. Roberta schlug sich mit der Hand an die Stirn.

„Ich hab’s verstanden“, rief das Mädchen, ihre Augen glänzten. „Ich hab’s verstanden!“ Der Inspirator stürmte zur Statue Davids mit dem frechen Gesichtsausdruck.

„Du dachtest, ich gebe so leicht auf, Lucia?“, krächzte Massimiliano, der sich für den Sieger in ihrem Kampf hielt, der eigentlich keiner war. „Wenn ich nicht gewollt hätte, dass du mich erwischst, wärst du jetzt an meiner Stelle. Unsere Kräfte sind gleichwertig, vergiss das nicht“, hustete er.

Lucia funkelte ihn von unten herauf böse an. „Ja, Massimiliano, gleichwertig. Also vergiss dich nicht!“ Sie erinnerte ihn daran, dass sie ihm jederzeit den Hals brechen könnte.

Der Blonde verzog die Lippen zu einem bissigen Lächeln.

In diesem Moment berührte Roberta das kurze Schwert, das David in seiner rechten Hand hielt. Als hätte sie nur darauf gewartet, ließ die Asiatin Costanzo sofort los. Der Junge sprang von dem Engel weg und rieb sich die Handgelenke.

„Es ist vorbei, Lucia“, krächzte Massimiliano erneut. „Lass mich los.“

„Als ob ich dir glauben würde, Blondie. Gleich taucht ein weiterer Engel auf und alles fängt wieder von vorne an“, dachte Lucia und hielt den Jungen weiter fest.

„Lucia!“, ertönte eine tiefe Stimme hinter ihr. Das Mädchen blickte über die Schulter. Aus einer der Säulen trat Woldéri hervor, gefolgt von Vittorio.

„Da bist du ja, Mentor. Ich frage mich, ob du früher gekommen wärst, wenn ich Blondie hier getötet hätte“, dachte Lucia und verzog die Lippen zu einem angedeuteten Lächeln.

„Da haben wir uns ja wiedergefunden“, murmelte das Mädchen, doch sie ließ Massimiliano immer noch nicht los.

Mit der Geschicklichkeit eines Blitzes kam der ehemalige Mentor auf das Mädchen zu und berührte ihre Hand, wobei er ihr mit einer Geste befahl, den Jungen loszulassen.

Lucia seufzte schwer. Sie lockerte widerwillig den Griff und trat einen Schritt zurück.

„Ich freue mich, dich zu sehen, Lucia“, sagte der Mann ruhig.

Mit einem unzufriedenen Blick maß Lucia Woldéri. Sie wollte nicht mit ihm streiten, also begrüßte sie den Mann mit einem Kopfnicken, ohne das ohnehin schon unangenehme Morgen weiter zu ruinieren. Zuerst wurden sie im Morgengrauen geweckt, dann wurden ihr Schlappschwänze vorgesetzt, sie musste in den Norden eilen und an einem Ratespiel mit Kämpfen teilnehmen, und jetzt durfte sie sich nicht einmal über Blondie lustig machen.

„Ich hoffe, du hast eine Erklärung für all das, was in den letzten Stunden passiert ist, Mentor“, dachte Lucia.

Kaum war die Gefahr vorbei, stand Massimiliano im Nu neben dem aschblonden Mädchen. „Gut gemacht, Sabina“, sagte er zu ihr und küsste sie auf die Wange.

Das Mädchen lächelte ihn süß an. „Du weißt, dass ich noch mehr kann.“

„Wer hätte das bezweifelt“, sagte Massimiliano und umarmte Sabina um die Taille.

Lucia drehte sich zu Woldéri um und ließ die beiden stolz auf sich sein.

Die letzten Zweifel, dass diese ganze Inszenierung von niemand anderem als ihrem ehemaligen Mentor mit Zustimmung eines höhergestellten Engels organisiert worden war, verschwanden.

„Wofür dieses Schauspiel mit den Statuen?“ Lucia hob den Kopf und sah den Riesen mit herausforderndem Blick an.

In den blassblauen Augen des Mannes lag ein Hauch von Herablassung. Das ist genau das, was ich nicht brauche, Woldéri, dachte Lucia düster.

„Die Statue von Verrocchio eignet sich besser als Symbol für den Sieg“, antwortete der Mann ruhig. „Ich behaupte nicht, dass sie in irgendeiner Weise besser ist als Donatellos Werk. Beide Bildhauer waren Meister ihres Fachs.“

„Erzähl mir keine Märchen“, dachte Lucia verärgert. „Du weißt genau, dass ich nicht nach den Bildhauern gefragt habe, sondern nach dem, was hier vor sich geht.“

Bevor sie ihre Gedanken aussprechen konnte, trat Roberta zu Woldéri und nickte in Richtung der Statue, zu der sie ging. „Der Schüler hat den Meister übertroffen“, sagte sie zum Riesen, während sie die Arme vor der Brust verschränkte.

„Das würde ich nicht sagen…“

„Vielleicht reicht es jetzt mit den Kunstgeschichtsstunden“, murrte Lucia wütend und verlor die Geduld mit Robertas allgegenwärtigen Kommentaren.

Roberta seufzte schwer und zeigte damit ihre Unzufriedenheit darüber, dass sie unterbrochen wurde. Mich kümmert dein Unmut nicht, Mädchen, dachte Lucia und verzog das Gesicht.

„Aber die Menschen interessiert es immer noch“, fuhr Roberta fort, ignorierte Lucias Worte und sagte: „Ob Verrocchio tatsächlich von seinem berühmten Schüler Leonardo da Vinci Modell stehen ließ.“

Du hast Woldéri als Publikum gefunden und prahlst mit deinem Wissen, dachte Lucia kopfschüttelnd. Sie räusperte sich, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

„Aber mich interessiert, warum du uns hergerufen hast, Woldéri“, fragte Lucia gereizt.

„Ich habe euch gerufen“, ertönte eine Stimme, die Lucia bereits gehört hatte, bevor die anderen Engel auftauchten.

Sie blickte nach oben. Er konnte es nicht lassen, sich zu zeigen, der Angeber, dachte sie und schmunzelte.

Die anderen Engel verstummten und schauten ebenfalls nach oben. Dort saß ein junger Mann mit baumelnden Beinen auf dem Dach des Palazzos. Der stahlharte Blick seiner graublauen Augen durchbohrte Lucia und jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Nervös schluckte sie. Der Sarkasmus über das arrangierte Schauspiel verflog in einem Augenblick, als ihr klar wurde, wessen Idee es war.

Der Brünette schnürte seinen Schuh neu, legte dann seine Haare hinter die Ohren und stand auf. Er sah nicht älter als siebzehn aus und bewegte sich mit einer Selbstsicherheit, als wäre er der Herrscher über alles hier, während alle Engel, inklusive des Mentors, nur seine Gäste waren. Niemand im Hof besaß auch nur annähernd die Hälfte der Macht, die von diesem Jungen ausging. So verhielt sich nur…

„Sie haben es geschafft und gezeigt, dass sie im Team arbeiten können, Engel“, rief Vittorio, der das Geschehen bisher teilnahmslos beobachtet hatte.

Also hatte ich recht, dachte Lucia, und wir werden dem Boss vorgestellt.

Doch sie hatte nicht erwartet, dass der „Chef“ in der Gestalt eines Teenagers erscheinen würde.

„Engel!?“, flüsterte Lucia und sah ihren Mentor an.

Mit einem nachsichtigen Lächeln klopfte Woldéri dem Mädchen sanft auf die Schulter.

– Fortsetzung folgt –

Zur Autorin

Svitlana Glumm wurde in Kropywnyzkyj in der Ukraine geboren. Die 44-Jährige studierte an der dortigen Universität Geschichte und später an der Uni in Kiew Journalismus. Als Journalistin arbeitete sie über zehn Jahre für Zeitungen in Kiew und Kropywnyzkyj, sie ist Mitglied im Journalistenverband der Ukraine. Svitlana Glumm verfasste mehrere Bücher, Manuskripte und Kurzgeschichten rund um die Themen Fantasy und Mythologie. Seit April 2022 lebt sie in Solingen.

Die mobile Version verlassen