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Engelsklinge – Buch 2: In Nebel gehüllt (Kapitel 12.2)

Lucia im Gespräch mit Leo und Elijah. "Engelsklinge" wurde von der ukrainischen Autorin Svitlana Glumm verfasst. (Bild: Open AI)

Lucia im Gespräch mit Leo und Elijah. "Engelsklinge" wurde von der ukrainischen Autorin Svitlana Glumm verfasst. (Bild: Open AI)

Von Svitlana Glumm

Engelsklinge

Buch 2 – In Nebel gehüllt

Aus dem Russischen

Kapitel 12.2

In Begleitung des Wächters gingen die Kinder zum Eingang, stiegen die Stufen hinauf und zerstreuten sich in die Zimmer. Lucia bemerkte, dass die Schüler auf der Treppe ihren Schritt beschleunigten, sobald sie sich dem dritten Stock näherten, und erst vor ihren Schlafsälen tief durchatmeten und sich sofort hinter den Türen versteckten.

Kitsch trat zu Lucia und stellte sich auf die erste Stufe. Hinter dem Jungen bildete sich sofort eine Gruppe aus seinen Klassenkameraden. Der Spanier machte einen Schritt nach vorne, kam dicht an das Mädchen heran und blickte von oben auf die kleine Brünette. Hunderte von Fragen schwirrten in seinem Kopf, aber am wichtigsten war nur eine.

„Was ist mit Phoebes Körper im Festsaal passiert?“, sprach es Kitsch schließlich aus.

Der hinter ihm stehende Rob Roy bat Mr. Peterson, Lilibet in ihr Schlafzimmer zu bringen. Das Mädchen zog die Hand zurück, als der Lehrer sich zu ihr beugte, doch nach dem strengen Blick, den ihr der Blonde zuwarf, begann sie zu wimmern, streckte aber gehorsam die Handfläche aus.

„Ich hätte auch gern eine Antwort“, flüsterte Gale, als er an Lucia vorbeiging und, nachdem er das Kind vorgelassen hatte, den Raum betrat.

„Was ist geschehen? Warum hat sie die Augen geöffnet?“, mischte sich auch Brian ein und nahm Margot bei der Hand.

„Wir haben uns furchtbar erschrocken, Lucia“, sagte Patsy. Sie stieß Trevor mit dem Ellbogen in die Seite. Der blauäugige Brünette versuchte, noch mehr aus der Klassenkameradin herauszubekommen, was sie im Festsaal gesehen hatte. „Später“, flüsterte das Mädchen ihm zu, „siehst du nicht, wir reden mit Lucia.“

„Ich wollte doch nur …“

„Pssst“! Patsy legte dem Jungen den Zeigefinger auf die Lippen.

Cash verzog spöttisch das Gesicht, während sie die anderen beobachtete, schwieg aber.

Den Abschluss der Gruppe bildeten Campbell und Ian. Während die Engländerin Lucia neugierig musterte, zog sich Ian zurück und starrte nur auf die Spitzen seiner Turnschuhe.

Ich weiß, dass dich das bedrückt, Freundchen, aber lass uns später darüber reden, dachte das Mädchen. Sie hob das Kinn und sprach ruhig:

„Geht schlafen, Leute. Wir reden morgen über den Vorfall. Es ist schon spät und außerdem gibt es hier viele Ohren,“ sie nickte zu den Fenstern, hinter denen man die Schüler sehen konnte. „Nach der Beerdigung kommen wir zusammen. Ihr, ich, Leo und Elijah und reden, einverstanden?“

Kitsch verschränkte die Arme vor der Brust und stellte die Beine breit auseinander. „Wirklich? Du lügst nicht?“

Lucia schnaubte ärgerlich und maß den Spanier mit einem vorwurfsvollen Blick. Der Junge ließ die Arme sinken und schnaubte zurück.

„Ich habe nicht vor, hier abzuhauen, wenn du das meinst. Zumindest noch nicht“, das Mädchen klopfte dem Brünetten auf die Schulter. „Also, keine Sorge. Ich halte mein Wort, glaubt mir,“ wandte sie sich an die Schüler und trat zur Seite. „Gute Nacht, Leute!“

„Hoffentlich wird die Nacht bei uns ruhig“, brummte Trevor. „Aber du hast recht, Lucia, es ist Zeit zur Ruhe zu gehen.“

Margo warf dem Brünetten einen Blick zu. “Geh du selbst zur Ruhe“, murmelte sie. “Ich habe nicht vor, zu Phoebe zu gehen“, bemerkte das Mädchen das unpassende Wortspiel, das der Deutsche gesagt hatte, und sah zu Kitsch, der vor ihr stand. „Komm, lass uns schlafen gehen, Kitsch.“

Brian stieß dem Spanier in den Rücken. “Beweg deine Knochen, Alter, ich hab keine Lust, hier zu Tode zu frieren.“

Campbell zog den Brünetten am Ärmel. “Schluss mit den bissigen Witzen für heute“, hielt das Mädchen ihn zurück.

Kitsch drehte sich um. “Wenn du mich noch einmal anstößt, landest du am anderen Ende des Hofes, verstanden?“, warnte er und warf Brian einen unzufriedenen Blick zu, bevor er begann, die Stufen hinaufzusteigen.

Brian verzog das Gesicht und rieb sich die Augenbraue, an der ein Piercing saß. “Wir sind uns also einig, Lucia?“, fragte Kitsch noch einmal, als er bei den Eingangstüren ankam.

„Einig,“ antwortete das Mädchen, ohne sich umzudrehen.

Die Glastür hinter Lucia glitt sanft zur Seite, als der Junge den Zeigefinger auf den Sensor legte.

„Gute Nacht!“, wünschte Rob Roy dem Mädchen und tauchte in den hell erleuchteten Korridor ein.

Lucia berührte Ians Schulter, als er auf ihrer Höhe war. “Ich möchte mit dir reden“, flüsterte sie, damit die vor ihr gehende Brünetten Campbell nichts hörte. Der Junge hob den Kopf. In seinen grünen Augen spiegelte sich aufrichtige Verwunderung. “Wann?“, fragte er ebenfalls flüsternd zurück.

Auf den Hof des Lagers fuhr gerade das Auto des Psychologen und im selben Moment spürte Lucia die Anwesenheit von Leo, der aus Richtung der Umkleiden auf sie zukam.

„Zuerst spreche ich mit Elijah, und dann mit dir“, antwortete das Mädchen in der Hoffnung, dass das Gespräch mit dem Heiler nur wenige Minuten dauern würde. Ian nickte. Eine widerspenstige Haarsträhne fiel ihm auf die Stirn und verdeckte sein rechtes Auge. “Gut. Ich werde in meinem Zimmer warten.“

„Wäre es nicht besser im Büro des Psychologen?“, schlug Lucia einen anderen Treffpunkt vor.

Der Junge schüttelte den Kopf und warf die Strähne zurück. “Gut, im Büro.“

„Danke.“

Als sie im Korridor angekommen waren, drehte sich Campbell um. Als sie bemerkte, dass der Junge mit Lucia sprach, entwich ihrer Brust ein schwerer Seufzer. “Also, kommst du?“, fragte sie Ian. “Es ist doch kalt.“

„Natürlich“, antwortete der Junge und sah aufmerksam den Assistenten des Psychologen an. “Dir gilt der Dank, Lucia“, er beugte sich zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr: “Dafür, dass du uns heute alle gerettet hast.“

Elijah verfolgte mit den Augen Alicia, die die breite Treppe hinaufstieg, und wandte sich dann an Lucia. “Also war das wirklich ein Dämon von Balberith?“, sprach er, für menschliche Ohren unhörbar.

Violetta befand sich bereits in ihrem Büro. Nachdem sie Kitsch zu sich gerufen hatte, begann die Frau mit seiner Untersuchung. Auch wenn er auf den ersten Blick keine Verletzungen aufwies, bestand die Ärztin aus Gründen der Sicherheit darauf, dass der Junge in die Krankenstation ging.

„Ja“, antwortete Lucia ebenso leise wie der Psychologe. “Ein Dämon, von ihm gesandt, verleitete Phoebe zu Zankereien, bösen Worten und auch dazu, alle Kinder zu töten.“

Elijah seufzte schwer und strich sich das schwarze Haar glatt. “Aber wie konnte ein Dämon ins Lager eindringen, wenn das Gelände unter Schutz steht?“, stellte er die Frage, die alle Engel bewegte, und meinte damit die geistige Barriere. „Ich denke …“

„Die Kinder haben selbst den Toten hereingetragen und damit dem Dämon, der in ihm lauerte, Einlass gewährt“, unterbrach Leo den Psychologen. “Seid ihr alle einverstanden?“ Er wandte seinen Blick von Lucia zu Elijah.

„Ja, du hast recht“, erwiderte der Heiler mit einem gezwungenen Lächeln.“ Ich wollte dasselbe sagen.“ Leo biss sich auf die Lippe, als er merkte, dass er Elijah nicht die Gelegenheit gelassen hatte, seine eigene, identische Sichtweise auszusprechen.

„Wenn also ein Dämon einer höheren Rangordnung in das Lager eingedrungen ist, dann ist es nicht so ruhig, wie wir bisher dachten“, fuhr der Psychologe fort.

Leo starrte den Mann überrascht an. “So etwas ist früher nicht geschehen? Wussten Luzifer und seine Schergen etwa nicht vom Dasein des Lagers?“

Elijah lächelte bitter. “Natürlich weiß er davon. Deshalb haben wir das Lager abgeschirmt und Aegor gebeten, Wächter zu entsenden. Vielleicht konzentriert Avadon, der von seinem Herrn geschickt wurde, seine Aufmerksamkeit im Moment auf die Straße, auf die ,Reinigung´ der Menschheit und hat die geretteten Kinder fürs Erste zurückgestellt. Wir alle wussten sehr wohl, dass dieser Tag kommen würde. Und nun hat Balberith einen seiner raffiniertesten Mörder hierhergeschickt.“ Der Mann verstummte und hob den Kopf, um den Sternenhimmel zu betrachten.

„Heißt das, kleine Fische, in Gestalt gewöhnlicher Dämonen, zählen nicht?“, fragte Leo nach.

„Natürlich nicht“, schnaubte Lucia.“ Luzifer hat verstanden, dass es nicht so einfach ist, die Mehrheit der Menschen zu vernichten und die Überlebenden zu Sklaven zu machen, die ihm gehorchen. Zwei Hindernisse stehen seinem perfiden Ziel im Weg: wir – die Engel – und die ,Saviour´-Verwaltungen, die eine Art Bollwerk des Widerstands darstellen.“

Elijah hörte auf, den dunklen Himmel zu betrachten, rückte sein tadellos sitzendes Jackett zurecht und kehrte ins Gespräch zurück. Was dem Heiler in diesen wenigen Sekunden durch den Kopf ging, konnte Lucia nur erahnen. Vielleicht dachte er an den bevorstehenden Krieg, an das Dröhnen der Trommeln, das unweigerlich näher rückte. Vielleicht rief er Raphael an, den Erzengel, dem die Heiler unterstellt waren. Oder er nahm sich einfach einen Moment, um den Geist zu beruhigen und die beste Entscheidung zu treffen.

„Wir alle sind eine Art Widerstand“, sagte er ernst.

„Wenn die Hölle an allen Fronten zum Angriff übergegangen ist, dann müssen auch wir das tun“. Lucia steckte die Hände in die Taschen ihrer Jeans.

Der Abend war kühl, aber nicht so sehr, dass ihr Körper hätte beben müssen. Vielleicht lag die Ursache nicht in den Naturerscheinungen, sondern in der Vorahnung des Kampfes. Ein weiterer Kampf in der Laufbahn des Racheengels, der von Geburt an zum Krieg bestimmt war, sowohl im Himmel als auch jetzt auf der Erde.

Leo bemerkte, dass Lucia zitterte, und streckte die Hand aus, um sie an der Schulter zu umarmen, doch ihr strenger Blick ließ ihn innehalten. Wenn es etwas gab, das Lucia nicht brauchte, dann waren es Umarmungen. Sie brannte darauf, all die „Kumpane“ des Teufels zu vernichten und das heiße Verlangen nach Töten rauschte durch ihre Adern und verdünnte ihr Blut.

„Das werden wir tun“, versicherte der Psychologe dem Mädchen.

Lucia schnaubte verärgert und unterdrückte das Zittern. Natürlich, wenn der Boss es befiehlt, dachte sie.

„Also gut, was machen wir mit dem Körper?“. Der stählerne Tonfall des Mädchens ließ Leo zusammenzucken. Über die Beerdigung konnte man lauter reden, und sie hob die Stimme.

Elijah dachte nach und wandte den Blick seiner dunkelbraunen Augen zur Seite.

“Vielleicht kremieren?“, brachte Leo einen für alle unerwarteten Vorschlag vor.

Lucia verzog das Gesicht zu einer unzufriedenen Grimasse und der Psychologe starrte den Jungen überrascht an. “Kremieren?“, wiederholte sie. “Leo, bist du denn …“
Elijah hob die rechte Hand vor sich, um das Mädchen zum Schweigen zu bringen.

„Warte, Lucia“, sagte der Mann. “Vielleicht hat Leo recht. Der Körper ist entsetzlich entstellt, wie ihr mir berichtet habt. Und nachdem ich mit dir gesprochen habe, Lucia, glaube ich euch aufs Wort. Es ist nicht ratsam, ihn lange in diesem Zustand aufzubewahren. Die Kinder werden Fragen stellen.“

„Sie stellen sie schon“, schnaubte Lucia. “Sie wollen die Wahrheit, Elijah.“

„Sie werden ihre Wahrheit bekommen, aber nach der Einäscherung. Ich habe verstanden, dass wir uns jetzt nicht mehr herausreden oder zurückziehen können. In solchen Fällen erlaubt Aegor, sich zu offenbaren.“

„Gut“, nickte das Mädchen.“ Ich werde alle versammeln.“

„Alle?“ Elijahs Augenbrauen schossen in die Höhe. “Sind es viele?“

„Genug.“

Ein schwerer Seufzer entrang sich der Brust des Heilers. “Na schön, dann versammle sie“. Er musste sich damit abfinden, dass die Zahl der Kinder, die das Geheimnis erfahren würden, nicht gering war. „Und jetzt kümmern wir uns um den Körper“. Der Mann zog ein Minifon aus der Tasche seines Jacketts. “Je eher, desto besser.“

Am Ende musste Mrs. Brown angerufen werden. Nachdem er den Körper untersucht hatte, berichtete Elijah der Direktorin über das Geschehene und bat sie, zu kommen. Penelope traf eine halbe Stunde nach dem Anruf im Lager ein. Erschüttert über den Tod eines der Kinder, die ihr Weinat anvertraut hatte, beherrschte die Direktorin diesmal ihre Aufregung. Der Grund war die Notwendigkeit, sofortige Maßnahmen zu ergreifen. Penelope hörte mehr zu, als dass sie sprach, besonders nachdem sie den Festsaal verlassen hatte. Ihr Gesicht war bis zur Spitze ihrer hakenförmigen Nase erblasst, doch sie fand dennoch die Kraft, Darren Hardly anzurufen. Mrs. Brown war der Ansicht, dass Weinat unbedingt über das Geschehen informiert werden müsse und nach Möglichkeit eine Untersuchung durchführen solle.

Es schien, als sei der stellvertretende Leiter nicht überrascht über die schreckliche Nachricht, als hätte ihm bereits jemand davon berichtet. Wer der Informant war, hatte Lucia keine Zeit herauszufinden, zumal Ian bereits im Büro des Psychologen auf sie wartete.

Nachdem die weiteren Schritte besprochen worden waren, begab sie sich in den dritten Stock, während Elijah und Leo den Körper von Phoebe aus dem Festsaal hinaustrugen. Darren rief Mrs. Brown an und teilte ihr mit, dass der Körper bereits an der Lorraine-Straße erwartet werde, um der Einäscherung übergeben zu werden. Auf ihrem letzten Weg wurde die Oberstufenschülerin vom Heiler, der Ärztin und der Direktorin begleitet. Leo sollte Alicia nach Hause bringen, während Lucia im Lager bleiben musste, bis Elijah sie ablöste.

„Von diesem Moment an wird das Lager rund um die Uhr von Engeln bewacht“, flüsterte der Psychologe, als er sich von Lucia verabschiedete. “Ich löse dich in ein paar Stunden ab, aber morgen hast du Dienst.“

Das Mädchen schwieg, im Bewusstsein, dass es keinen Sinn hatte, Elijah zu widersprechen. Und sie selbst hätte sich ohnehin freiwillig gemeldet, die Kinder nicht unbeaufsichtigt zu lassen. Der Wächter und der Geschichtslehrer zählten nicht. Das Ungeziefer würde ihnen die Hälse ebenso leicht und schnell brechen wie den übrigen Bewohnern des Lagers.

– Fortsetzung folgt –

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Zur Autorin

Svitlana Glumm wurde in Kropywnyzkyj in der Ukraine geboren. Die 45-Jährige studierte an der dortigen Universität Geschichte und später an der Uni in Kiew Journalismus. Als Journalistin arbeitete sie über zehn Jahre für Zeitungen in Kiew und Kropywnyzkyj. Sie verfasste mehrere Bücher, Manuskripte und Kurzgeschichten rund um die Themen Fantasy und Mythologie. Seit April 2022 lebt sie in Solingen.

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