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Engelsklinge – Buch 2: In Nebel gehüllt (Kapitel 4.1)

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Lucia wurde bei einem Kampf gegen einen Dämon verwundet. Ärztin Violetta behandelt sie.
Lucia wurde bei einem Kampf gegen einen Dämon verwundet. Ärztin Violetta behandelt sie. "Engelsklinge" wurde von der ukrainischen Autorin Svitlana Glumm verfasst. (Bild: Open AI)

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Von Svitlana Glumm

Engelsklinge

Buch 2 – In Nebel gehüllt

Aus dem Russischen

Kapitel 4.1

Mit fuchtelnden Armen griff der Dämon als Erster an. Lange Nägel, unter denen geronnenes Blut klebte, sausten dicht an Lucias Gesicht vorbei. Der heutige Dämon war anders als jene, denen das Mädchen bisher begegnet war. Er hatte einen solchen Lebenshunger, wie ihn Lucia bei diesen Kreaturen noch nie gesehen hatte. Blutunterlaufene Augen richteten sich auf ihr Gesicht. Eine bodenlose Leere brach aus ihnen hervor und traf sie wie eine Schockwelle, die einen zu Boden werfen konnte. Lucia stellte ihre Beine schulterbreit auf, um nicht umzufallen. Der Dämon, der den Körper eines jungen Mannes gestohlen hatte, riss sein Maul auf. Mit dem erstickenden Gestank von Verwesung entrang sich ein Schrei aus seinem Rachen – scharf, tödlich, unnatürlich. Lucia biss die Zähne zusammen und ließ nicht zu, dass das Ungeheuer sie lähmte. Sie konzentrierte sich auf den gelben Tüllvorhang, der im Fenster einer Wohnung im dritten Stock zu sehen war. Zum Glück war der fünfstöckige Bau das einzige Wohngebäude zwischen den Lagerhäusern und in der Stadt herrschte noch Nacht. Genauer gesagt: früher Morgen, wenn nur Bäcker und Postboten bereits auf den Beinen sind. Der Asphalt unter ihren Füßen bebte und es schien, als würden gleich Risse entstehen, die die erstarrte Mischung aus Teer brechen, während Kieselsteine und Sandkörner durch die Luft fliegen würden.

„Noch vor einer Woche haben die Gefallenen mir die Füße gewaschen, mir mit ihren lügnerischen Zungen geschmeichelt und um ihre Treue zu beweisen, haben sie mir diesen Brocken überlassen“, sagte der Dämon und tippte mit einem Nagel auf seine breite Brust. „Ich erinnere mich an mein Zuhause. Die Schreie der Menschen, die sich auf unserer Seite des Portals wiederfanden, schmeichelten meinem Gehör, ihre Angst nährte mein Innerstes und weckte in mir den Wunsch, jene Welt zu besuchen, in der die Wollust herrscht“. Seine schwarze, geschwollene Zunge leckte über bläuliche Lippen. „Und in ihr ewig zu leben“, seine blutroten Augen funkelten in der Dämmerung, und der Dämon beugte die Knie, bereit zum Angriff.

Zögern hätte das Leben kosten können, also entschloss sich Lucia zu handeln. Die Dämonen, die kürzlich aus der Tiefe aufgestiegen waren, besaßen eine außergewöhnliche Stärke, die nicht nur verhinderte, dass der menschliche Körper vollständig verweste, sondern es ihnen auch ermöglichte, mit Engeln mühelos fertigzuwerden. Die physische Verbindung des Ungeheuers mit seiner Heimat hielt mehrere Monate lang an, was es selbst für erfahrene Wächter schwer machte, es zu vernichten. Lucia hatte dies am eigenen Leib erfahren, als sie gegen eine Ziegelwand eines Wohnhauses geschleudert wurde und beinahe im eisernen Griff kräftiger Finger erstickt wäre. Die geistige Verbindung hingegen blieb während des gesamten „Lebens“ des Dämons bestehen.

Der Mann reckte seine Arme mit den gewaltigen Klauen nach vorne und rannte auf Lucia zu. Hinter ihr befand sich eine Eisenwand – der Rückweg war versperrt. Der linke Mundwinkel des Mädchens hob sich leicht. Als der Dämon bemerkte, dass der Racheengel ihn verspottete, knurrte er. In dem Moment, als er in Schlagweite war, rannte Lucia auf die Wand zu. Sie stieß sich vom Boden ab, prallte von der Eisenwand ab und sprang in die Luft, nach hinten weg. Die Kreatur hielt inne, als sie erkannte, dass das Mädchen auf sie herabstürzen würde. Der Mann wich zurück, doch es war zu spät zum Ausweichen – die Klinge bohrte sich in seinen Schädel. Der Dämon rührte sich nicht, als hätte ihn die Klinge gar nicht durchbohrt. Nachdem sie über den Mann hinweggeflogen war, landete Lucia zu nah an ihm auf dem Boden. Der Dämon wandte sich ihr zu. Sie sprang zurück und wich seinen scharfen Krallen aus. Blut aus der Wunde lief ihm in die Augen. Er fluchte und verfluchte den Engel, der es gewagt hatte, sich seinem Verlangen nach dem Tod unzähliger Opfer zu widersetzen.

Lucia nutzte das kurze Zögern des Dämons, sprang in die Höhe und machte ein Salto, um hinter ihm zu landen. Die Klinge des zweiten Dolchs bohrte sich in seinen Rücken. Ein überraschter Laut entrang sich der Brust des Dämons. Er drehte sich abrupt auf den Absätzen seiner alten Schuhe, seine Arme durchschnitten unkontrolliert die Luft. Das Mädchen wich zurück. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihren Bauch. Die blutunterlaufenen Augen des Dämons verdrehten sich und der Leichnam fiel mit einem dumpfen Geräusch auf den kalten Boden. Schwarzer Rauch stieg in die Luft und löste sich in den ersten Sonnenstrahlen auf.

Ein stechender Schmerz unter der Rippe machte sich bemerkbar und zwang Lucia, sich vornüber zu beugen. Die rechte Seite ihres T-Shirts war vom Blut völlig durchtränkt. Das Mädchen erstarrte, ließ die Schmerzen zur Gewohnheit werden. Sie sog Luft in die Lungen, erst dann richtete sie sich wieder auf. Mit den Fingern hob Lucia den Saum ihres Shirts an und entblößte die Wunde.

„Himmlische Mächte!“, flüsterte sie beim Ausatmen.

Beim letzten Schlag hatte der Dämon all seine Kraft eingesetzt, und seine scharfe Kralle hatte nicht schlechter gewirkt als ein Dolch. Die Schnittwunde war zwar klein, aber tief. Bei jedem Atemzug quoll Blut daraus hervor und lief den Hosenbund hinab.

Lucia konzentrierte sich, ließ dem aufkommenden Schwindel keine Gelegenheit, sie gegen die Wand sinken und sich neben der Leiche auf dem Boden niederzulassen. Indem sie ihre Atmung kontrollierte, zwang sie ihren Körper zur Ruhe, um keine Energie zu verschwenden – sie musste nach Hause kommen.

Zeit, sich um sich selbst zu kümmern, dachte das Mädchen. Sie überschlug die Entfernung bis nach Hause im Kopf und erkannte, dass sie das Lager schneller erreichen konnte als South Beach. Zumal es dort eine Krankenstation gab – und die Kinder noch schliefen. Die Tür zu öffnen würde kein Problem sein. Der Sensorbildschirm würde grün aufleuchten, sobald sie ihn mit der Kuppe ihres Zeigefingers berührte. Die Fingerabdrücke der psychologischen Helfer waren in der Datenbank des Lagers gespeichert – Lucia konnte jetzt ohne Weiteres jede Tür öffnen.

Mit einem flüchtigen Blick auf die Leiche am Boden stöhnte sie leise. Die Leiche musste verschwinden, bevor die Hausbewohner erwachten. Doch in ihrem verletzten Zustand war es schwierig, die Arbeit zu Ende zu bringen.

Lucia zog ein Minifon aus der Gesäßtasche ihrer Hose. Mit tauben Fingern drückte sie auf die richtige Nummer.

„Ja, meine Süße“, vernahm sie die verschlafene Stimme von Leo.

„Komm zur Irving Street und kümmere dich um den Körper“, platzte Lucia heraus, ohne Zeit für Höflichkeiten zu verlieren.

„Und du? Was ist passiert, meine Liebe?“, fragte der Junge besorgt.

„Ich bin in Ordnung“, antwortete Lucia. „Wir sehen uns im Lager.“ Sie schaltete das Minifon aus, bevor Leo hören konnte, wie ein neuer Schmerzensstoß ihr ein Stöhnen entriss.

Sie steckte das Gerät zurück in die Tasche, presste die Hand auf die Wunde und ging, ihre Atmung weiter kontrollierend, langsam zum Parkplatz, wo ihr Motorrad stand.

Lucia öffnete ihre Lederjacke. Das T-Shirt, das sie vor dem Aufsteigen ausgezogen und um die Wunde gebunden hatte, war komplett blutdurchtränkt. Gut, dass sie immer ein Ersatzshirt dabeihatte. Sie holte ein frisches T-Shirt aus dem Kofferraum, noch bevor sie das Gebäude betrat.

Um sechs Uhr morgens schliefen die Kinder noch. Zumal gerade Ferienwoche war und sie meist erst gegen acht Uhr aufstanden. Auch der Zeitplan für Aktivitäten und die Essensausgabe verschob sich in dieser Woche um eine Stunde nach hinten.

Die Regenzeit war Anfang April vorbei und nun zeigte sich die Sonne immer öfter zwischen den Wolken, tauchte die Stadt in warmes Licht und lockte die Menschen an den Strand.

Als sie die Anzahl der Treppenstufen vor der Eingangstür sah, war Lucia zum ersten Mal froh, dass die Krankenstation im Erdgeschoss lag. Mit zusammengebissenen Zähnen stieg sie die Stufen hinauf. Seit der Verletzung waren keine fünfzehn Minuten vergangen, doch bei jedem Schritt meldete sich die Wunde.

In der Krankenstation angekommen, sah sich das Mädchen um. Ein kühler Luftzug drang durch das leicht geöffnete Fenster und erleichterte ihr das Atmen. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn, zog die Jacke aus und warf sie auf einen Stuhl – ebenso wie das saubere T-Shirt.

Zuerst musste sie die Wunde versorgen. Lucia machte einen Schritt auf den Schrank zu, der in der Ecke stand. Sie zog an der Griffleiste und öffnete die Tür. Auf den Regalbrettern standen Glas- und Plastikfläschchen sowie Schachteln mit Ampullen. Sie musste nicht einmal die Augen zusammenkneifen, um die Medikamentennamen zu erkennen.

Das Fenster der Krankenstation zeigte nach Norden, deshalb war der Raum für menschliche Augen nicht hell genug – sie hätte das Licht einschalten müssen, was jedoch Aufmerksamkeit erregt hätte. Aber Lucia war kein gewöhnlicher Mensch, der einfach nur im Lager arbeitete.

Mit der linken Hand griff sie nach ein paar Fläschchen und stellte sie auf den glatten Tisch. Dann nahm sie von der unteren Ablage eine Spritze und etwas Watte. Chirurgische Instrumente bewahrte Violetta im oberen Schrank auf. Lucia beugte sich, um sie herauszuholen – da schoss plötzlich wieder Blut aus der Wunde, begleitet von einem stechenden Schmerz, der ihren ganzen Körper durchfuhr. Ein Sausen füllte ihren Kopf, ihre Beine wurden weich wie Watte.

„Auch wenn du ein Engel bist“, flüsterte sie sich selbst zu, „solltest du nicht vergessen, dass du in einem menschlichen Körper steckst.“

Sie stützte sich mit einer Hand auf dem Tisch ab und wartete, bis der Schmerz ein wenig nachließ. Dann öffnete sie eine kleine Schachtel, nahm eine Ampulle mit blassgelber Flüssigkeit heraus und brach den oberen Teil ab. Nachdem sie die Verpackung aufgerissen hatte, zog sie das Medikament mit der Spritze auf. Sie ließ die Hose etwas herunter, stach die Nadel in ihre Gesäßmuskulatur und drückte den gesamten Inhalt hinein.

„Der erste Schritt ist getan“, murmelte sie mit einem schwachen, fast gequälten Lächeln. „Mit dem Schmerzmittel lässt sich die Wunde leichter behandeln.“

Zeit, einen Blick darauf zu werfen, dachte Lucia und begann, den Knoten an ihrer linken Seite zu lösen. Der Stoff klebte an ihrer Haut, also wickelte sie das T-Shirt langsam und vorsichtig ab – ein nutzloser Lappen, durchtränkt mit Blut. Als sie zur Stelle der Wunde kam, merkte sie, dass der Stoff förmlich festgewachsen war. Mit zusammengebissenen Zähnen riss Lucia ihn ab. Ein scharfer Schmerz durchzuckte ihren Körper, weckte die tauben Gliedmaßen und verursachte ein unangenehmes Kribbeln in den Fingerspitzen. Die Wunde blutete zwar nicht mehr – ein Vorteil ihres Engelswesens –, aber sie sah furchtbar aus. Zerfetzte Hautränder standen ab, überall klebten Blutklumpen und Erdreste.

„Na gut, kümmern wir uns um dich“, murmelte Lucia mit tauben Lippen. „Im Krankenhaus mit einer Infektion zu landen, wäre keine gute Idee. Dann kommen die Fragen – und darauf kann ich verzichten.“

Sie warf das schmutzige T-Shirt in den Mülleimer und beugte sich hinunter, um die Instrumente zu holen. Diesmal schaffte sie es, eine Schere und eine Nadel mit medizinischem Faden hervorzuziehen.

Sie ließ sich auf die Liege fallen, die rechts vom Tisch stand, und öffnete die Flasche mit Wasserstoffperoxid.

Ein Geräusch von Schritten ließ sie innehalten, als sie gerade ein mit Peroxid getränktes Wattepad zur Wunde führen wollte.

Vielleicht war es der Nachtwächter, der nach Hause ging – oder einer der Köche, fuhr es ihr durch den Kopf.

Heute sollte Mr. Lloyd früher kommen, um das Essen vorzubereiten, das die älteren Kinder mit auf die Wanderung nehmen würden. Wie versprochen hatte Mrs. Brown die letzten Tage der Frühlingsferien für gemeinsame Aktivitäten der Jugendlichen eingeplant. Gegen neun Uhr würden die Kleinbusse eintreffen, um die Kinder abzuholen, die den ganzen Winter lang auf einen Ausflug aus den immer gleichen Klassenzimmerwänden gewartet hatten.

Die Schritte kamen unaufhaltsam näher zur Krankenstation. Lucia biss sich auf die Unterlippe.

Geh einfach weiter, geh einfach weiter, flehte sie innerlich. Das Letzte, was sie jetzt wollte, war, dass jemand – noch schlimmer: eines der Kinder – sie mit einer blutenden Bauchwunde sah. Sicher, sie hätte die Medikamente in Sekundenschnelle wieder in den Schrank räumen, das T-Shirt durchs Fenster entsorgen können – aber die Wunde in einer Sekunde zunähen? Das schaffte nicht mal ein Heiler.

Geh vorbei, dachte sie, als die Person vor der Tür stehen blieb. Um die Gedanken des morgendlichen Besuchers zu lesen und herauszufinden, wer es war, war es nun zu spät.

Die Eingangstür glitt zur Seite – und Violetta erschien im Türrahmen. Lucia atmete erleichtert auf. Für ein Kind, das bei ihrem Anblick in Ohnmacht gefallen wäre, hätte sie jetzt kaum Nerven gehabt.

Als die Frau Lucia sah, wie sie versuchte, ihre komplizierte Wunde selbst zu versorgen, rückte sie wortlos einen Stuhl an die Liege heran, zog sich Handschuhe über und griff nach der mit Peroxid getränkten Watte.

„Gut, dass du hergekommen bist“, sagte sie ruhig. „In Anbetracht der jüngsten Ereignisse wäre es zu gefährlich, mit so einem Schnitt in die Klinik zu gehen.“

Die Ärztin schaltete die große Lampe auf dem Tisch ein und richtete das Licht direkt auf Lucia.

Lucia schloss die Augen und versuchte, keinen Laut von sich zu geben, als die Watte die Ränder der Wunde berührte. Der Schmerz war schrecklich, aber nicht unerträglich, und sie dankte dem Himmel, dass sie kein gewöhnlicher Mensch war.

„Jetzt entfernen wir die Blutgerinnsel, schneiden das beschädigte Gewebe und die ausgefransten Ränder weg“, sagte die Ärztin sachlich. „Da steckt Erde drin, meine Liebe. Einer Infektion wärst du kaum entkommen. Mit so einer Wunde hättest du den morgigen Tag wohl nicht mehr erlebt“, fuhr Violetta fort. „Die verdammte Sepsis hätte dich erledigt“, fügte sie mit einem Schnauben hinzu und warf Lucia einen Blick zu. „Wenn du nicht vorher schon auf dem Weg…“

Lucia öffnete die Augen und begegnete ihrem Blick.

„…zum Portal wärst“, beendete sie den Satz der Ärztin. Sie hatte nicht vor, Violetta die Illusion zu nehmen, dass man so etwas mit einem Engel nicht einfach durchziehen konnte.

Die Frau seufzte ergeben und beugte sich wieder über die Wunde.

„Ich frage nicht, woher du die Verletzung hast“, fuhr sie fort. „Du bist Elijah Rechenschaft schuldig, nicht mir. Ich mache einfach nur meinen Job.“

Und ihre Arbeit machte Violetta hervorragend. Unter den Menschen sagte man, sie sei eine Ärztin von Gottes Gnaden. Zwar gab es im Lager keine chirurgische Abteilung – komplizierte Eingriffe wurden an einem geheimen Ort von Heilern vorgenommen, von dem nur Ageor und Elijah wussten –, aber alle anderen Behandlungen mit unzähligen Medikamenten, Spritzen und Nadeln erledigte die junge Brünette mit der Leichtigkeit einer Teezubereitung oder Zeitungslektüre. Sie kam auch gut mit den Kindern aus, weshalb diese keine Angst hatten, zu ihr zu kommen, wenn sie sich verletzten oder Bauchschmerzen hatten.

Lucia hatte einmal Violettas Gedanken gelesen und verstanden, dass die Frau genau wusste, wer die Verhütungsmittel stahl. Dennoch gab sie jeden Monat eine bestimmte Menge aus, weil sie überzeugt war, dass die Jugendlichen an ihre Zukunft denken sollten – und nicht daran, sich als leidenschaftliche Liebhaber zu beweisen.

Was Violetta selbst anging: Mit vierzig war sie unverheiratet und verbrachte die langen Winterabende im Gespräch mit Kollegen, die über die inoffiziellen Regeln im Gesundheitswesen Bescheid wussten. Oft lief es darauf hinaus, wer in die Liste derer aufgenommen wurde, die wegen schwerer und teurer Krankheiten zum Portal gebracht werden sollten. Violetta bewunderte jene Kollegen, die weiterhin Patienten zu Hause behandelten und sich dabei nicht vor dem Zorn der Regierung fürchteten. Dass diese „Helden“ in Wahrheit Heiler waren und das Erscheinen der Männer in Schwarz voraussehen konnten, wusste sie nicht. Die gewöhnlichen Mediziner waren auf die Verwaltungsbereiche verteilt und behandelten nur jene, die von der Straße hereingebracht wurden.

„So, das war’s“, sagte Violetta, während sie ein Pflaster über die Naht klebte. „Gut, dass keine lebenswichtigen Organe getroffen wurden – sonst hätte ich Hilfe holen und dich operieren lassen müssen.“

Lucia stand auf und ging zum Stuhl, um ihr T-Shirt zu holen. Das Schmerzmittel hatte gewirkt und es fiel ihr nun leichter, sich durch den Raum zu bewegen.

„Ich denke, ich brauche dir nicht zu sagen, dass du besser nach Hause gehst und dich ein paar Tage ausruhst“, bemerkte die Ärztin, während sie die chirurgischen Instrumente in einen Behälter legte, in dem sie sterilisiert wurden. „Aber das liegt bei dir“, zuckte Violetta mit den Schultern. „Komm einfach am Montag vorbei, ich will sehen, wie die Wunde heilt.“

Lucia nickte, während sie sich das T-Shirt überzog. Schon morgen würde von der Wunde nichts mehr zu sehen sein und sie hoffte, dass der Trubel rund um den Ausflug die ärztliche Nachuntersuchung in den Hintergrund rücken würde.

„Danke für deine Hilfe“, sagte sie und griff nach ihrer Jacke. Sie fühlte sich besser und würde in ein paar Stunden vermutlich bereit sein, die Kinder auf dem Ausflug zu begleiten.

Die Ärztin wandte ihren Blick von dem rechteckigen Behälter ab, auf dessen Deckel eine Lampe leuchtete – das Zeichen, dass die Instrumente noch sterilisiert wurden – und sah Lucia nach.

„Die Küchenkräfte sind angekommen. Du solltest etwas essen, sonst liegst du mir nachher hier auf der Liege mit einer Infusion im Arm. Ich weiß ja nicht, wie du das findest, aber die Kinder hassen Tropfbehandlungen regelrecht“, sagte sie mit einem Lächeln auf den Lippen.

„Ich bezweifle, dass ich das großartig fände“, antwortete Lucia in ihrem Tonfall und nickte zum Abschied, bevor sie die Krankenstation verließ.

– Fortsetzung folgt –

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Zur Autorin

Svitlana Glumm wurde in Kropywnyzkyj in der Ukraine geboren. Die 45-Jährige studierte an der dortigen Universität Geschichte und später an der Uni in Kiew Journalismus. Als Journalistin arbeitete sie über zehn Jahre für Zeitungen in Kiew und Kropywnyzkyj. Sie verfasste mehrere Bücher, Manuskripte und Kurzgeschichten rund um die Themen Fantasy und Mythologie. Seit April 2022 lebt sie in Solingen.

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