SOLINGEN (mh) – Zehn Erwachsene und zwei Kinder warten heute am Industriemuseum gespannt auf die Führung durch die alte Villa. Ute Senger nimmt die Besucher mit auf eine interessante Reise in längst vergangene Zeiten. Senger, von Beruf Maschinenbau-Ingenieurin, ist als freiberufliche Mitarbeiterin für verschiedene Museen tätig, seit 2014 auch beim Industriemuseum. Kerem (7) und Can (3) sind schon ganz aufgeregt. „Kerem hat sich letztens den Schmied hier angesehen“, erzählt seine Mutter.
Spargel als Luxusgemüse
Die Fabrik ist 1886 von den Gebrüdern Hendrichs gegründet worden. Damals wohnten sie in einem kleinen Ziegelbau, der nach dem Bau der Villa als Kontor und als Wohnung für Heizer und Maschinist genutzt wurde. Die Hendrichs kamen aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Einen Park, wie ihn die meisten Villen hatten, konnten sie sich nicht leisten. Aber ein Garten musste es auf jeden Fall sein. Ein Teil davon war für die Selbstversorgung bestimmt. Das gehörte zu einer umsichtigen Haushaltsführung dazu. Man leistete sich sogar ein Spargelbeet als Luxusgemüse. Das änderte sich in den Kriegs- und Nachkriegsjahren. Jetzt waren Kartoffeln, Rübstiel und Möhren wichtiger.
Gebaut wurde die Villa 1896 im zeitgenössischen historischen Baustil mit markanten Ecktürmen. Damit demonstrierte die Familie Hendrichs deutlich ihre Zugehörigkeit zur bürgerlichen Gesellschaft. Das Innere der Villa war aufgeteilt in zwei Doppelhaushälften. Jede der Gründerfamilien lebte in ihrer Hälfte, die spiegelverkehrt zu der anderen Hälfte war. Die Zimmer glichen sich wie ein Ei dem anderen. So gab es auch zwei Haupteingänge und zwei Dienstboteneingänge.
Die Besucher der Führung dürfen heute natürlich als Gäste durch den Haupteingang. Das Präsentieren und Repräsentieren war zu der damaligen Zeit von großer Bedeutung. Was finanziell nicht machbar war, sollte wenigstens so aussehen, als ob. Der Flur der Villa ist mit einem mosaikähnlichen Fußboden versehen. Bei näherer Betrachtung erkennt man, dass es sich um gemusterte Fliesen handelt. Die Wandverkleidung erinnert an Marmor, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bemalte Tapete ist. Die Decken weisen Stuckdekorationen auf.
Durch den kleinen Flur gelangt man ins Esszimmer. Eingerichtet mit den damals typischen dunklen und schweren Holzmöbeln wirkt es düster. Die Szene zeigt die Familie beim Abendessen. Am Kopf sitzt natürlich der Hausherr, zu seiner Linken die Ehefrau. Rechts von ihm ein italienischer Geschäftsfreund. Gewöhnlich richtete sich bei Gesellschaften die Sitzordnung nach dem Einkommen des Mannes. Das Personal musste ständig anwesend sein, ohne jedoch sonderlich wahrgenommen zu werden.
Smalltalk bei Tisch
Bei Tisch unterhielt man sich keinesfalls über wirtschaftliche und geschäftliche Fragen. Die Herren waren der Meinung, das würde die Damen langweilen. Man erörterte gesellschaftliche Ereignisse, Theater, Reisen. Kurz und gut, es war das, was man heute als Smalltalk bezeichnen würde. Für wichtige Gespräche zogen sich die Herren nach dem Essen ins Herrenzimmer zurück. Das war das Refugium des Hausherrn. Hier fachsimpelte er mit Besuchern über geschäftliche und politische Themen oder ging seinen Hobbies nach. Das Engagement in Wirtschaftsverbänden, wie dem Schlägereibesitzer- oder dem Arbeitgeberverband, das für die Solinger Unternehmer üblich war, konnte er hier ebenfalls ungestört vorbereiten.
Die Damen nahmen im Wohnzimmer Platz. Das war das Reich der Hausfrau. Es diente auch als Nähzimmer. Eine große Singer Nähmaschine nimmt einen Großteil des Zimmers ein. Für elegantere Kleidung nahm man natürlich die Dienste eines Schneiders in Anspruch. Alles andere wurde selbst genäht.
1911 begann man die Räume mit Zentralheizung auszustatten. Die Wärme hierfür wurde in den Dampfkesseln der Fabrik erzeugt. Es gab sogar eine Wassertoilette auf halber Treppe. Das Porzellan für Kloschüssel und Waschbecken importierte die Familie extra aus England. Die Fenster in den unteren Räumen und am Hauseingang waren mit bunten Ornamenten gestaltet. Sie sollten Stil und Eleganz präsentieren.
Keramik aus England importiert
In den oben gelegenen Privaträumen der Familie war alles schlicht gehalten. Da brauchte man keinen Stuck an der Decke, keine verzierten Fenster und keinen Mosaikfußboden. Das Dienstmädchen der Hendrichs hatte eine kleine, enge Kammer. Gerade groß genug für ein Bett und eine Truhe für Kleidung. Dabei hatte es noch Glück, denn die Familie hatte nur das eine Dienstmädchen. In anderen Haushalten wurden die Kammern auch von mehreren bewohnt. Laut Dienstplan war um 6 Uhr aufstehen angesagt. Sonntags durfte man eine Stunde länger schlafen. Alle 14 Tage gab es einen freien Sonntagnachmittag.
Heute sind diese ehemaligen Räume mit Bildern und Schautafeln ausgestattet, die eine Fülle von Informationen zu geschichtlichen Details wiedergeben.