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Engelsklinge – Buch 2: In Nebel gehüllt (Kapitel 11.3)

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Phoebe wird vermisst, die Gruppe um Lucia macht sich Sorgen.
Phoebe wird vermisst, die Gruppe um Lucia macht sich Sorgen. "Engelsklinge" wurde von der ukrainischen Autorin Svitlana Glumm verfasst. (Bild: Open AI)

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Von Svitlana Glumm

Engelsklinge

Buch 2 – In Nebel gehüllt

Aus dem Russischen

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Kapitel 11.3

Lucia nahm einen Schluck Kaffee und stellte die Tasse auf den Tisch. Im Wohnzimmer befanden sich außer ihr und Leo noch Elijah, Alicia und Violetta. Der junge Mann hatte beschlossen, seine Gewohnheit zu ändern, den Geburtstag nur zu zweit mit seiner Freundin zu feiern, und äußerte den Wunsch, den Abend in Gesellschaft derjenigen zu verbringen, die er als die ihm nächsten Menschen ansah. Das waren der Heiler, die Literaturdozentin und die Ärztin.

In dem kleinen Kreis von Gästen verlief die Feier so gut wie möglich. In der Wohnung gab es keinen überflüssigen Lärm, wie er in einer großen Gesellschaft entsteht, es klangen aufrichtige Glückwünsche und – was nicht unwichtig war, wie Leo bemerkte – mit nur fünf Personen würde das Aufräumen weniger Zeit in Anspruch nehmen.

Auf dem Heimweg hielt das Mädchen in einer Konditorei an und holte die Bestellung ab – eine Torte, überzogen mit weißer Glasur und bestreut mit Schokoladensplittern. Das Geschenk bestand dagegen aus einer Armbanduhr mit Chronograph.

Gegen Ende des Abends, als die Torte auf den Tisch kam und der junge Mann die Kerzen mit einem leichten Luftstoß ausblies, der Wein geleert war und die Weingläser den Kaffeetassen Platz gemacht hatten, verstummten die Gespräche über die Arbeit und die alltäglichen Sorgen. Nun war die Zeit gekommen für das leise Klimpern der Teelöffel an den Porzellantellern, für zwanglose Gespräche und das Genießen der Stunden fern von lärmenden Kindern.

Die Messersammlung, die Lucia und Leo während ihres Jahres in Amerika zusammengetragen hatten, war ins Schlafzimmer verlegt worden und an ihrer Stelle hing nun ein Gemälde. Zum letzten Geburtstag hatte Lucia von Patsy ein Bild geschenkt bekommen, das San Francisco am Abend zeigte – mit den glitzernden Fenstern der Hochhäuser, einer Straße, die zur Uferpromenade führte und der Golden Gate Bridge, die hinter den Wolkenkratzern hervorlugte. Vor allem wollte das Mädchen keine überflüssigen Fragen von den Menschen, die jenen Februarabend im Wohnzimmer verbringen würden und das Gemälde fügte sich wunderbar in das Interieur des geräumigen Zimmers mit den Sofas bei den großen Fenstern und dem Bücherregal an der Wand ein. Die Palme in der Mitte des Wohnzimmers, die in einem Kübel wuchs, war in die Ecke gestellt worden, und an ihrer Stelle hatte man den Tisch aus der Küche aufgestellt.

„Nochmals vielen Dank für die Geschenke“, sagte Leo und nickte zu dem Schränkchen hinüber, auf dem die geöffneten Schachteln lagen. „Mir hat alles gefallen“, warf der junge Mann einen Blick auf die Armbanduhr und zwinkerte Lucia zu, die ihm gegenüber saß.

„Bitte sehr“, murmelte Violetta, während sie ein Stück Torte kaute. „Du kochst hervorragend, Leo. Die Rinderroulade war einfach großartig. Also, zögere nicht, uns einzuladen, wenn wir ein neues Gericht probieren sollen.“

„Unbedingt“, lachte Leo. „Wenn bis dahin nicht schon alles verputzt ist – von Lucia.“ Sein schelmischer Blick blieb auf dem Gesicht des Mädchens hängen.

Lucia schnaubte.
„Ach komm schon, Leo“, protestierte sie. „Wenn ich so schlemmen würde, wie du behauptest, dann würde ich wohl kaum noch in diese Hose passen.“

„Ihr geht doch ins Fitnessstudio, nicht wahr?“, fragte Violetta. „Also, egal was man sagt – du siehst großartig aus, Lucia, was man von mir nicht behaupten kann. Mit zweiundvierzig habe ich ein paar Kilo zugenommen.“ Die Brünet­te klopfte sich leicht auf den Bauch, der im letzten Jahr runder geworden war. „Ich denke, ich sollte anfangen, morgens zu joggen. Sonst werde ich in fünf Jahren ein richtiges Pummelchen.“ Sie zupfte sich spielerisch an ihren runden Wangen.

Als er bemerkte, dass die anderen in Gespräch vertieft waren, stand Elijah vom Sofa auf und winkte Alicia mit einer Kopfbewegung zu sich. Der Mann öffnete die Glastür und trat hinaus auf die Terrasse. Ein kühler Luftzug drang ins Zimmer und Violetta, die vom Wein oder vom Kneifen in ihre Wangen errötet war, atmete tief durch.

„Lassen wir sie offen“, hielt sie Alicia zurück, die gerade die Tür schließen wollte. „Wenn es euch nichts ausmacht?“ Die Frau sah die Gastgeber an.

„Nein“, sagte Lucia und nickte, während sie ein Stück ihres Kuchens abbrach. „Frische Luft schadet uns nicht.“

Das Mädchen wechselte einen Blick mit Leo. Der junge Mann lächelte geheimnisvoll, richtete seinen Blick auf die Terrasse und nahm einen Schluck Kaffee. Lucia folgte seinem Blick. In der Dunkelheit konnte sie deutlich zwei Gestalten erkennen, wandte die Augen jedoch schnell ab, um vor allem Elijah nicht in Verlegenheit zu bringen. Meistens sprach der Psychologe und Alicia hing an jedem seiner Worte. Das schnellere Schlagen ihrer Herzen genügte, um zu spüren, dass dies ein aufregender Moment war – sowohl für den Engel als auch für den Menschen. Selbst ohne den Kopf zu wenden bemerkte das Mädchen aus dem Augenwinkel, wie Elijah Alicia an der Taille umarmte, sie zu sich zog und küsste.

Leo erzählte Violetta gerade eine Anekdote über ein Missverständnis, das ihm in Mailand passiert war. Natürlich waren in seiner Version alle Beteiligten ganz normale Menschen – keine übernatürlichen Wesen, die sich in den Kopf gesetzt hatten, Bürgermeister zu spielen.

„Ich mach noch Kaffee“, schlug Lucia vor und sprang vom Sofa auf. „Du isst inzwischen dein Stückchen auf.“ Sie deutete auf Violettas Teller, auf dem noch ein Rest des Desserts lag.

Die Frau seufzte bitter.
„Na gut“, stimmte sie zu. „Das Joggen beginnt ja erst morgen. Heute darf ich mir noch etwas gönnen.“

Lucia nahm Violettas Tasse mit und stellte sie in der Küche in die Kaffeemaschine. Das Mädchen beschloss, dem Psychologen noch etwas Zeit für das Gespräch mit Alicia zu geben. Elijah hatte gesagt, er wolle nach der Feier doch noch ins Lager fahren. In der ersten Nacht, die die Kinder nur in Begleitung des Wächters und von Mr. Peterson verbringen würden, wollte er sicherstellen, dass die Jugendlichen die Abwesenheit jener nicht ausnutzten, die sofort ihre wahren Absichten durchschauen würden.

Beim Hinausgehen aus der Küche bemerkte Lucia, wie der Heiler und Alicia eng umschlungen dastanden – berauscht vom Geständnis füreinander und von einem Glück, das niemand ihnen stehlen konnte.

Die Kaffeemaschine zischte, und das Mädchen nahm die fertige Tasse heraus.

Lucia trat mit der Kaffeetasse ins Wohnzimmer zurück. Sie hörte das Klingeln des Miniphons und schenkte ihm zunächst keine Beachtung, als Elijah antwortete.

Hoffentlich hat sich Berhard nicht in den Kopf gesetzt, morgen in die Stadt zu kommen, dachte das Mädchen und stellte die Tasse auf den Tisch.

Der Psychologe löste sich von Alicia, seine Stimme klang plötzlich angespannt. Lucia warf einen Blick zur Terrasse und Leo hob den Kopf. Elijah sagte nur ein paar Sätze, doch sie reichten aus, um zu verstehen: Der Abend würde nicht so enden, wie es sich alle gewünscht hatten.

Alicia stürmte ins Wohnzimmer. Die Blondine war verängstigt, ihre Lippen zitterten und in ihren türkisfarbenen Augen spiegelte sich Unverständnis. Hinter ihr trat der Heiler in den Raum.

„Mr. Peterson hat angerufen“, berichtete der Mann das, was Lucia und Leo bereits gehört hatten, als er auf der Terrasse gewesen war. „Phoebe Marshall ist verschwunden.“

Violettas Löffel fiel aus ihrer Hand und klirrte auf den Boden.
„Was?“ – ihre Augen weiteten sich.

Leos Blick kreuzte den von Lucia.
„Los!“ – die entschlossene Stimme des jungen Mannes durchbrach die wieder eingekehrte Stille im Wohnzimmer.

„Ja“, stimmte das Mädchen ihm zu. „Mit den Motorrädern erreichen wir das Lager schneller.“

Elijah nickte.
„Richtig“, sagte er mit gewohnt ruhiger Stimme, als hätte Gail nicht von dem Verschwinden eines Teenagers berichtet, sondern von der Absage des morgigen Unterrichts. „Ich fahre hinter euch her.“

Alicia wandte sich um und berührte die Hand des Psychologen.
„Ich fahre mit dir“, sagte sie.

Der Mann drückte sanft die Hand der Blondine.

„Und ich auch“, Violetta hob den Löffel vom Boden auf und erhob sich vom Sofa. „Hoffentlich geht das ohne Knochenbrüche ab.“ Sie lächelte bitter.

Elijah ließ seinen kalten Blick über die Anwesenden gleiten.
„Mrs. Brown brauchen wir nicht zu benachrichtigen“, sagte er ernst. „Noch nicht. Ich habe Mr. Peterson gebeten, ein paar Stunden zu warten. Ihr wisst selbst, wie sie auf die Halloween-Überraschung reagiert hat.“

„Keine Fragen“, sagte Lucia.

Das Mädchen nickte Leo zu, und der junge Mann ging ins Schlafzimmer. Ohne Dolche nach Phoebe zu suchen, wäre unvernünftig. Überhaupt durfte man nicht unbewaffnet durch den Wald oder die Stadt streifen – falls das Mädchen sich dorthin verirrt hatte und irgendjemandem begegnet war. Und das musste nicht unbedingt ein stinkender Dämon sein. Banden gab es in Frisco wie in jeder anderen Stadt, auch wenn die Straße ihre Reihen ein wenig ausgedünnt hatte.

„Worauf warten wir noch?“, drängte sie die anderen, als Leo im Flur auftauchte.

Da ertönte erneut das Klingeln des Miniphons.

„Elijah, Phoebe ist zurückgekehrt“, meldete die Stimme des Geschichtslehrers, als der Psychologe die Lautsprecherfunktion einschaltete.

Lucia hörte, wie Violetta erleichtert aufatmete.
Alicia schmiegte sich an Elijah und schloss für einen Moment die Augen.

„Wie geht es ihr?“ fragte der Mann und neigte den Kopf, um mit den Lippen Alicias platinblondes Haar zu berühren.

„Ich gehe gleich runter und sehe nach“, sagte Gail und legte auf.

Elijah versuchte zurückzurufen, doch der Lehrer nahm nicht ab.

Lucia spürte, wie die Luft um den Heiler zu vibrieren begann und nur seine eiserne Ruhe verhinderte, dass die Explosion sich in langen Schockwellen durch die Wohnung entlud. Sie ballte die Finger so fest zur Faust, dass sich die Nägel in die zarte Haut der Handflächen gruben – nur um in dieser lautlosen, sich wie eine Ewigkeit dehnenden Stille nicht zu schreien.

Elijahs Miniphon klingelte erneut.
„Gail, was ist los?“

Am anderen Ende schluckte jemand hörbar.

„Sie ist wieder davongelaufen“, die Antwort von Mr. Peterson durchschnitt die angespannte Luft wie eine scharfe Klinge. „Sie hat sich mit Kitch gestritten und ist gegangen.“

Lucia stürzte zur Eingangstür.
„Ich fahre los, Elijah!“ – die laute Stimme des Mädchens ließ alle zu ihr aufblicken.

„Wohin ist sie gegangen, Mr. Peterson?“ fragte der Psychologe erneut.

Lucia erstarrte im Warten. Ihre Hand legte sich lautlos auf die Türklinke. Eine einzige Bewegung – und sie würde bereits im Treppenhaus stehen, gleich darauf zum Parkplatz rennen. Doch die Antwort des Lehrers abzuwarten, war wichtig. Etwas in Gails Stimme kam ihr verdächtig vor. Irgendetwas geschah im Lager. Etwas, das Lucia nicht kontrollieren konnte. Vor allem, weil sie weit entfernt war. Das Zittern in Mr. Petersons Stimme deutete darauf hin, dass der Mann etwas bemerkt hatte, was den anderen Bewohnern des Lagers entgangen war. Das bedeutete, dass sie es heute nicht mit den Verrückten der Bayview Hunters zu tun bekommen würde.

„In den Wald“, sagte Mr. Peterson mit einem Anflug von Verzweiflung. „Ian ist ihr nachgelaufen.“

Elijah schaltete das Miniphon aus und blickte auf die offene Tür. Lucia und Leo waren längst nicht mehr in der Wohnung – ebenso wenig im Treppenhaus.

„Wir müssen los“, sagte er. Ohne Alicias Hand loszulassen, führte er die junge Frau hinaus aus der Wohnung.

Violetta löschte das Licht im Wohnzimmer und eilte, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, zum Aufzug.

– Fortsetzung folgt –

„Engelsklinge – Tödlicher Schlag“ gibt es jetzt auch als Taschenbuch. Bestellen kann man es unter anderem HIER!

Zur Autorin

Svitlana Glumm wurde in Kropywnyzkyj in der Ukraine geboren. Die 45-Jährige studierte an der dortigen Universität Geschichte und später an der Uni in Kiew Journalismus. Als Journalistin arbeitete sie über zehn Jahre für Zeitungen in Kiew und Kropywnyzkyj. Sie verfasste mehrere Bücher, Manuskripte und Kurzgeschichten rund um die Themen Fantasy und Mythologie. Seit April 2022 lebt sie in Solingen.

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