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Engelsklinge – Buch 2: In Nebel gehüllt (Kapitel 9.4)

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Auf dem Flur kommt es zu einer handfesten Auseinandersetzung.
Auf dem Flur kommt es zu einer handfesten Auseinandersetzung. "Engelsklinge" wurde von der ukrainischen Autorin Svitlana Glumm verfasst. (Bild: Open AI)

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Von Svitlana Glumm

Engelsklinge

Buch 2 – In Nebel gehüllt

Aus dem Russischen

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Kapitel 9.4

Bis Mitte September hatten sich die ins Lager gekommenen Jungen vollständig in das Kollektiv eingelebt. Allerdings blieb es nicht ohne Auseinandersetzungen zwischen Kitsch und Roy. Der Spanier war sich bewusst, dass er seine Macht unter den Schülern verlor und versuchte bei jeder Gelegenheit, einen boshaften Scherz anzubringen. Roy jedoch, der sich mit dem neuen Namen abgefunden hatte, den ihm Elijah gegeben hatte, vermied es nach Kräften, in Konflikt mit dem Brünetten zu geraten, wohl wissend, dass dies unweigerlich in einer Schlägerei enden würde. Lucia wusste genau, dass diese Entscheidung des Schotten nicht ohne Grund gefallen war. Die Vergangenheit, die das Leben des Blonden verändert hatte, sollte sich nicht wiederholen.

Auf die spöttischen Bemerkungen antwortete Rob Roy geschickt mit Worten, sodass Kitsch keinen Angriffspunkt fand. Viele Schüler beobachteten mit unverhohlenem Interesse die Fehde zwischen den beiden Jungs, die sie zweifellos für die Coolsten hielten.

Was die Mädchen betraf, hatten die Zehntklässlerinnen den gutaussehenden Blonden sofort ins Auge gefasst und diskutierten in der Dusche oft darüber, welche der Schülerinnen wohl seine Partnerin werden würde. Sie wären auch selbst nicht abgeneigt gewesen, um den freien Platz zu konkurrieren, doch der Junge schaute nicht einmal in ihre Klasse und kannte ihre Namen nicht. Also nahmen die Mädchen die Sache selbst in die Hand und stellten sich Roy vor. Der Junge nahm die Annäherungsversuche der Schülerinnen, die sich vor ihm aufspielten wie auf einem Maskenball, um den ersten Tanz zu ergattern, gelassen hin, hörte höflich ihre „interessanten“ Geschichten über die Sommerferien an und bot ihnen auf ihre abendlichen Treffen im Hof nur Freundschaft an.

Daraufhin kamen die Mädchen zu dem Schluss, dass Rob Roy vielleicht eine Klassenkameradin mögen könnte. Ihre Wahl fiel auf Campbell – eine dunkelbraunhaarige Schönheit aus Yorkshire. Nach Ansicht der Schülerinnen passte sie perfekt zu dem schmucken Schotten. Doch der Junge sprach mit Campbell genauso wie mit allen anderen Mädchen. Die Schülerinnen konnten nicht verstehen, warum Roy keine Zuneigung zu einer der Mädchen im Lager empfand. Lucia amüsierte sich sowohl über die Versuche der Mädchen, den Jungen zu verführen, als auch über ihre weiteren Mutmaßungen, dass er sich womöglich gar nicht zum anderen Geschlecht hingezogen fühlte. Ihnen war nicht klar, dass Rob Roy derzeit einfach mit niemandem ausgehen wollte, sondern nur freundschaftliche Beziehungen zu den Schülern knüpfte. Und das gelang ihm hervorragend. Schon nach einer Woche hatte Roy mehr Anhänger um sich geschart als Kitsch in zwei Jahren im Lager.

Kluger Junge, bemerkte Lucia. Jetzt wird der Spanier sich erst überlegen, ob er eine Schlägerei anfangen sollte.

Doch eine Schlägerei kam trotzdem zustande. Nur Mrs. Brown, die sich in diesem Moment auf dem Stockwerk befand, trieb die um die kämpfenden Oberstufenschüler versammelten Kinder mit ihrem gewohnten Krächzen auseinander. Doch derjenige, der wirklich dafür sorgte, dass die beiden Jungen mit minimalen Verletzungen in ihre Zimmer zurückkehren konnten, war ein anderer.

Der Grund für die handgreifliche Auseinandersetzung war eine banale Niederlage von Kitschs Mannschaft beim Volleyball. Der aufbrausende Spanier war mit der Zählweise unzufrieden und verließ die Sporthalle nicht ohne Skandal, wofür er eine Rüge von Mr. Hindley erhielt. Öl ins Feuer gossen die Jungs, die die Namen der Spieler der siegreichen Mannschaft skandierten. Der Name „Rob Roy“ war der letzte Tropfen – Kitsch konnte nicht mehr an sich halten, packte den Jungen und versetzte ihm den ersten Schlag.

Vom Lärm alarmiert, eilten die Mathematiklehrerin Mrs. Lindsay und der grauhaarige Geschichtslehrer Mr. Peterson herbei. Während Geoffrey aus der Sporthalle nach oben eilte und dabei die Stufen in großen Schritten nahm, hatten die Jungen bereits ihre Jacken zur Seite geworfen und die Hemdsärmel hochgekrempelt, um ihr jeweiliges Recht zu verteidigen – auf den Sieg im Spiel, auf Respekt, auf Führungsanspruch. Selbst die strenge Stimme des Sportlehrers brachte die Menge nicht zum Auseinandergehen. Erst der scharfe Pfiff und das Krächzen von Penelope lenkten die Aufmerksamkeit der Schüler auf die Lehrer.

Wie Lucia später von Patsy erfuhr, ging Rob Roy mit einem geschwollenen Auge in sein Schlafzimmer. Doch auch er blieb nichts schuldig. Als Kitsch durch den Pfiff abgelenkt war, schlug der Blonde ihm ins Gesicht. Es knackte – ein Knochen war gebrochen. Der Spanier schrie auf. Trotz des Blutes, das ihm aus der Nase spritzte, stürzte er sich auf Roy. Alles deutete auf eine Fortsetzung der heftigen Schlägerei hin. Die Kinder schlugen die Warnungen der Lehrer über strenge Strafen bei Ungehorsam in den Wind und schrien, während sie Wetten auf den Sieger abschlossen.

Wie das Gerangel geendet hätte, ist ungewiss, wenn nicht in diesem Moment Leo im Korridor aufgetaucht wäre. Als er die Hilflosigkeit der Erwachsenen bemerkte, stürzte er zu den Schülern, drängte die Schaulustigen beiseite und schaffte es, den Schlag von Kitsch abzufangen, der sich für die Verletzung rächen wollte.

An jenem Tag hatte Lucia bis zum Mittag frei genommen und Elijah traf sich mit Berkhard, der erneut seinen „Engel“ in San Francisco besuchte. Deshalb erzählte Patsy, die sie als Erste beim Betreten des Gebäudes trafen, den beiden alles Interessante.

Was Lilibet betraf, gewöhnte sich das Mädchen nach und nach an das neue Leben. Elijah hatte recht behalten – der Umgang mit anderen Kindern half dem Kind, sich von traurigen Gedanken abzulenken. Während der Pausen zwischen dem Unterricht kümmerten sich Patsy und Campbell um Lilibet, und fast das gesamte Lehrerkollegium beteiligte sich daran, das Mädchen auf die Schule vorzubereiten.

Doch weder die Freundlichkeit der anderen Kinder noch die Fürsorge der Erwachsenen konnten in ihr den Wunsch auslöschen, bei jeder passenden Gelegenheit zu Rob Roy zu laufen. Wenn der Junge nicht in der Nähe war, suchte sie ihn in der Menge der Oberstufenschüler und öffnete dabei weit ihre smaragdgrünen Äuglein. In den ersten Nächten im Lager rief Lilibet im Schlaf nach ihrer Mutter oder nach Rob Roy. Elijah schlief auf dem Sofa in seinem Büro, um in der Nähe zu sein, falls etwas das Kind im Traum erschrecken sollte.

Alle wussten, worum es ging. Wer einmal miterlebt hatte, wie es ist, plötzlich auf die Straße zur Hölle zu geraten, würde diesen schrecklichen Moment nie vergessen und anfangs nur daran und an die damals aufgekommene Angst denken – eine Angst, die einen auch in unerwarteten Augenblicken überfallen konnte. Das berichteten alle Kinder. Manche verschlossen sich, wie Ian, fanden aber schließlich doch einen Weg, den Kloß der Panik im Hals zu überwinden und weiterzuleben.

„Was soll man da erst über ein vierjähriges Kind sagen“, meinte Elijah einmal zu Lucia und seufzte schwer. „Sie sollte mit Puppen spielen und nichts von der Grausamkeit der Welt wissen.“
„Die Straße verschont niemanden“, wiederholte das Mädchen die Worte des Heilers, die er am Tag der Ankunft der Neuen im Lager ausgesprochen hatte, und trat ans Fenster.

Der milde Herbst mit seinen warmen, teils heißen Tagen erfreute die Kinder und sie rannten nach dem Unterricht sofort hinaus in den Hof. Die Jungen spielten Volleyball, die Mädchen saßen auf Bänken. Die jüngeren Schüler spielten Fangen. Lilibet hüpfte zusammen mit Gretta Himmel und Hölle; die geraden Quadrate hatte Patsy mit weißer Kreide auf den Asphalt gezeichnet.

Wie versprochen hatte Lucia der Oberstufenschülerin einen separaten Raum hinter der Umkleide organisiert, in dem sie ungestört malen konnte. Javier hatte Leinwand und Farben mitgebracht und das Mädchen zog sich oft in die Werkstatt zurück, um ein neues Meisterwerk zu schaffen. Einige Kinder äußerten den Wunsch, das Malen zu lernen, und die Schülerin gab ihnen gerne Unterricht. Patsy wurde bei den Schülern der unteren und mittleren Klassen beliebt und war nun keinen Angriffen von Cash mehr ausgesetzt. Und das Mädchen, das einmal zurückgeschlagen hatte, wäre bereit gewesen, es auch ein zweites Mal zu tun.

Die Brünette hatte jedoch eine andere Sorge in Gestalt von Phoebe und ließ ihre Mitschülerin in Ruhe. Eines Tages betrat Trevor die Werkstatt. Beeindruckt von den Zeichnungen, lobte er Patsy. Er erzählte Rob Roy von der Leidenschaft der Brünetten und beim nächsten Mal baten beide Klassenkameraden das Mädchen, ihnen ihre Arbeiten zu zeigen.

Lucia schaute ins Zimmer, eine Schachtel hinter dem Rücken haltend. Patsy saß auf dem Bett und hielt ein Haargummi zwischen den Zähnen. Sie trug ein grünes Top, das sie sich bei Javier als eigenes Geschenk gekauft hatte. Lilibet saß auf dem Schoß der Oberstufenschülerin, während diese ihr das widerspenstige Haar zu einem festen Zopf flocht. Nachdem sie das Ende mit dem Gummi befestigt hatte, ließ sie das Kind los. Das Mädchen rannte sofort zu Lucia.
„Hast du etwas mitgebracht?“ fragte sie neugierig und sah zu der jungen Frau hoch. „Patsy hat heute Geburtstag!“

Lucia lächelte.
„Natürlich.“

Lilibet zeigte mit dem Finger auf Patsys Tisch, auf dem bereits kleine Schachteln lagen, die mit bunten Bändern umwickelt waren.
„Das ist von Verehrern“, erklärte das Mädchen.

Patsy lachte.
„Von den Viertklässlern, denen ich beigebracht habe, einen Pinsel zu halten. Und nicht nur von denen.“

Lilibet ging zum Tisch.
„Das ist von Gretta und das von Denis. Das hier ist von Jim, das von Lina“, zählte sie die Schachteln nacheinander auf. „Das ist von Campbell und das von Phoebe.“

Lucia trat ins Schlafzimmer, umarmte Patsy und reichte ihr ihr eigenes Geschenk.
„Und das ist von Leo und mir“, sagte sie.

Lilibet schüttelte tadelnd den Kopf.
„Aber ihr seid doch zu zweit. Dann müssen es auch zwei Geschenke sein.“ Sie schmollte. „Das ist unfair.“

Lucia tauschte einen Blick mit Patsy.
„Alle Fragen an Leo. Er kommt heute Abend.“

Das Mädchen hob den Kopf, und ein fröhliches Lächeln erhellte ihr sommersprossiges Gesicht.
„Und heute Abend gibt es Kuchen!“

„Ich weiß. Der Duft kommt schon aus der Küche“, schloss Lucia die Augen und schmatzte genießerisch.

„Ich liebe Geburtstage!“ Lilibet klatschte in die Hände. „So viele Leckereien.“

Es klopfte an der Tür, und Trevor und Rob Roy erschienen auf der Schwelle.
„Zählen einfache Klassenkameraden auch als Bewunderer deines Talents?“, fragte der Brünette und reichte Patsy eine Schachtel. „Alles Gute zum Geburtstag!“

Patsys Wangen röteten sich, als sie das Geschenk aus Trevors Händen nahm.

Lucia lächelte.
Na, siehst du, wie gut sich alles gefügt hat, Patsy, dachte sie. Und noch vor einem Monat hast du in genau diesem Zimmer geweint, weil du dachtest, du würdest deinen Geburtstag allein verbringen.

Rob Roy reichte eine kleine Schachtel, die mit einem roten Band umwickelt war.
„Alles Gute zum Geburtstag!“, gratulierte er seiner Klassenkameradin.

Lucia ließ die Schüler zurück und ging zur Tür.
„Wohin gehst du?“ fragte Patsy.
„Arbeiten.“
„Ich erwarte dich mit Leo heute Abend.“
„Wir kommen auf jeden Fall“, drehte sich Lucia um. „Den Kuchen lassen wir uns bestimmt nicht entgehen.“

Lucia öffnete die Tür und blieb stehen. Vor dem Zimmer standen Cash und Margo. Die Mädchen hielten kleine Schachteln mit Geschenken in den Händen.

Am liebsten hätte sie spöttisch etwas darüber gesagt, dass es wohl ohne Kuchen nicht geht, wenn Gäste kommen, die die Brünette ganz offensichtlich nicht erwartet hatte. Doch Lucia lächelte nachsichtig, ließ die Tür offen und ging in Richtung Treppe.

Als sie die Gedanken der Oberstufenschülerinnen las, verstand sie, dass die Mädchen keineswegs den Drang verspürten, Patsy zu gratulieren. Ihr Kommen war nur eine gewöhnliche Taktik jener Menschen, die gezwungen waren, die Freiheit anderer zu respektieren.

Lucia schnaubte.
Halte dir deine Freunde nah, aber deine Feinde noch näher, dachte sie, als sie Patsys Stimme hörte, die die Mädchen einlud, ihr Zimmer zu betreten.

– Fortsetzung folgt –

„Engelsklinge – Tödlicher Schlag“ gibt es jetzt auch als Taschenbuch. Bestellen kann man es unter anderem HIER!

Zur Autorin

Svitlana Glumm wurde in Kropywnyzkyj in der Ukraine geboren. Die 45-Jährige studierte an der dortigen Universität Geschichte und später an der Uni in Kiew Journalismus. Als Journalistin arbeitete sie über zehn Jahre für Zeitungen in Kiew und Kropywnyzkyj. Sie verfasste mehrere Bücher, Manuskripte und Kurzgeschichten rund um die Themen Fantasy und Mythologie. Seit April 2022 lebt sie in Solingen.

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