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30. Jahrestag des Solinger Brandanschlags

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Hochrangige Vertreterinnen und Vertreter von Bund und Land kamen am Montag anlässlich des 30. Jahrestags des Solinger Brandanschlags in die Klingenstadt. Oberbürgermeister Tim Kurzbach (li.) begrüßte unter anderem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der sich ins Goldene Buch der Stadt Solingen eintrug. (Foto: © Bastian Glumm)
Hochrangige Vertreterinnen und Vertreter von Bund und Land kamen am Montag anlässlich des 30. Jahrestags des Solinger Brandanschlags in die Klingenstadt. Oberbürgermeister Tim Kurzbach (li.) begrüßte unter anderem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der sich ins Goldene Buch der Stadt Solingen eintrug. (Foto: © Bastian Glumm)

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SOLINGEN (red) – Pfingstmontag jährte sich der Tag des Solinger Brandanschlags zum 30. Mal. Zur zentralen Gedenkveranstaltung der Stadt Solingen kamen hochrangige Vertreterinnen und Vertreter von Bund und Land in das Theater und Konzerthaus Solingen, an der Spitze Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

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Bundespräsident Steinmeier hält Ansprache

In seiner Ansprache betonte er: „Als Bundespräsident kann ich nicht dazu schweigen, in welchem Klima diese Anschläge gediehen sind. Ich kann heute nicht zu Ihnen sprechen, ohne den braunen Nährboden des Solinger Brandanschlages und der vielen weiteren Taten zu benennen. Viel zu lange saß unser Land der durch nichts gestützten, aber ständig wiederholten Behauptung auf, es seien verblendete Einzeltäter, die ihr Unwesen treiben. Die Strukturen dahinter und die Ideologie der Täterinnen und Täter wurden lange übersehen, ignoriert, teils auch verdrängt. Ich spreche von Rechtsextremismus. Von Rassismus. Von Menschenfeindlichkeit. Die Angriffe von Rechtsextremen galten und gelten all jenen, die vermeintlich anders sind: Die dunkle Haare haben, einen sogenannten ausländischen Namen tragen, eine andere Religion haben. Sie galten und gelten Flüchtlingen, Obdachlosen, Menschen mit Behinderung – und auch denen, die offen für eine tolerante Gesellschaft eintreten.“

Steinmeier fragte: „Wie also schaffen wir das, was Mevlüde Genç unter dem großen Wort der Versöhnung eingefordert und proklamiert hat? Wie kann unser Land weiter zusammenwachsen?“ Dazu brauche es „zuallererst einen wehrhaften, einen wachsamen, einen aufrichtigen Staat. Jeder Mensch muss in unserem gemeinsamen Land in Sicherheit und Frieden leben können, und der Staat muss besonders diejenigen schützen, die ein höheres Risiko haben, Opfer von Gewalt zu werden.“

Der Bundespräsident sprach aber auch von der Verantwortung, die jede Bürgerin und jeder Bürger trage: „Ich wünsche mir Mitmenschen, die an einer Bushaltestelle eingreifen, wenn ein Mädchen rassistisch beschimpft und attackiert wird. Die es nicht dulden, wenn an einer Schule Hakenkreuze an die Wände geschmiert werden. Die widersprechen, wenn Lügen, Hass und Hetze am Arbeitsplatz oder in sozialen Netzwerken, im Hausflur oder am Stammtisch verbreitet werden. Schweigen oder Gleichgültigkeit werden viel zu oft als stumme Zustimmung gedeutet. Was wir stattdessen brauchen sind Zivilcourage und Mut!“

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (li.) mit Innenministerin Nancy Faeser und Staatsministerin Claudia Roth (re.). (Foto: © Bastian Glumm)
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (li.) mit Innenministerin Nancy Faeser und Staatsministerin Claudia Roth (re.). (Foto: © Bastian Glumm)

Wüst: Kein Platz für Hass und Fremdenfeindlichkeit

Zuletzt erklärte Steinmeier: „Auch 30 Jahre nach der grausamen Tat von Solingen sind wir noch immer fassungslos, zornig, traurig. Aber: Wir sind nicht eingeschüchtert, nicht hilflos, nicht tatenlos.“ Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser nahm an der Gedenkveranstaltung teil. Sie betonte: „Der Rechtsextremismus bleibt die größte extremistische Bedrohung für unsere Gesellschaft. Wir begegnen ihm mit Prävention und Härte. Dazu gehören gut ausgestattete Sicherheitsbehörden, eine konsequente Strafverfolgung, politische Bildung und Sensibilisierung sowie eine starke Zivilgesellschaft.“

Ministerpräsident Hendrik Wüst hob in seiner Ansprache die Bedeutung des Erinnerns hervor: „Am 29. Mai 1993 hat sich in Solingen beim Brandanschlag auf das Haus von Familie Genç Fremdenhass in seiner niederträchtigsten Form gezeigt. Das Schicksal der Ermordeten und teils schwer Verletzten und den Schmerz ihrer Angehörigen dürfen wir niemals vergessen. An die Opfer zu erinnern, bedeutet auch, aus der Vergangenheit zu lernen und jeden Tag entschlossen gegen Diskriminierung, Rassismus und Rechtsextremismus zu kämpfen. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe, die auch 30 Jahre nach dem Brandanschlag nicht an Bedeutung verloren hat. Hass, Hetze und Fremdenfeindlichkeit haben keinen Platz in unserer Gesellschaft.“

Kurzbach: Solingen habe besondere Verantwortung

Oberbürgermeister Tim Kurzbach verwies auf die besondere Verantwortung, die Solingen seit dem Anschlag trägt: „Er hat uns gelehrt, dass wir nicht wegsehen dürfen, dass wir jedes Anzeichen von Rassismus und Rechtsextremismus unbedingt ernst nehmen müssen. Seit dem Pfingstsamstag 1993 haben wir eine besondere Verantwortung für den Kampf gegen Rassismus und für ein friedliches Miteinander übernommen. Für die ganze Bundesrepublik.“ Bereits im Vorfeld des zentralen Gedenkens hatte es eine Reihe von Veranstaltungen gegeben.

So wurde am Vormittag des Pfingstmontags die zweisprachige Ausstellung „Solingen ’93 Unutturmayacağız! Niemals vergessen!“ im Zentrum für verfolgte Künste eröffnet. Anhand der Geschichte der Familie Genç erzählt sie in Verbindung mit sozialpolitischen und gesellschaftlichen Ereignissen eine deutsche Geschichte bis in unsere Gegenwart und greift dabei rechtsradikale und rechtsextremistische Taten auf. Die Ausstellung, die bis zum 17. September zu sehen ist, folgt einem Wunsch der 2022 verstorbenen Mevlüde Genç: „Gebt meinen Kindern ein Gesicht.“ Sie verlor bei dem Anschlag zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte: Gürsün İnce, Hatice Genç, Gülüstan Öztürk, Hülya Genç und Saime Genç.

Unter anderem am Mahnmal am Mildred-Scheel-Berufskolleg weisen jetzt Stelen auf die Ermordeten und die verstorbene Mevlüde Genç hin. (Foto: © Bastian Glumm)
Unter anderem am Mahnmal am Mildred-Scheel-Berufskolleg weisen jetzt Stelen auf die Ermordeten und die verstorbene Mevlüde Genç hin. (Foto: © Bastian Glumm)

Insgesamt acht Stelen an drei Orten im Stadtgebiet

Der Erinnerungskultur habe Mevlüde Genç damit einen neuen Impuls gegeben, dem auch die Gedenkstelen, die die Jugendhilfe-Werkstatt zum 30. Jahrestag gefertigt hat, folgen. Bereits 1994 hatte die Einrichtung in Solingen das Mahnmal am Mildred-Scheel-Berufskolleg gestaltet. Insgesamt acht Stelen an drei Orten im Stadtgebiet (Mahnmal, Mevlüde-Genç-Platz, Tatort Untere Wernerstraße) zeigen jetzt Bilder der Opfer und erinnern an das Geschehen. Über QR-Codes sind weitere Informationen abrufbar.

„Straßen und Plätze nach Persönlichkeiten zu benennen, die Besonderes geleistet und besonders Gedenkwürdiges getan haben, gehört zu den wichtigsten Ehrungen, die eine Stadt vornehmen kann. Sie ist zugleich eine der nachhaltigsten Ehrungen, denn der Name wird in die nächsten Generationen getragen“, erklärte Oberbürgermeister Tim Kurzbach. Die Entscheidung sei in den politischen Gremien einmütig und einstimmig getroffen worden. „Wir wollen ein Zeichen setzen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und uns für eine Gesellschaft einsetzen, in der jeder Mensch respektiert und geschützt wird. Wir als Stadtgemeinschaft stehen gemeinsam für diese Werte und Überzeugungen ein.“

Brandanschlag habe Solingen verändert

Der Brandanschlag hat Solingen verändert, seither habe sich viel Positives entwickelt. Schritt für Schritt hätten sich Stadtrat, Verwaltung, Verbände, Migrantenselbstorganisationen, christliche, muslimische und andere Religionsgemeinschaften das Thema „Zusammenleben“ erarbeitet. Zum Gedenken hat sich das Bündnis für Toleranz und Zivilcourage intensiv in die Planungen eingebracht. So fand nach der Einweihung des Mevlüde-Genç-Platzes ein gemeinsamer Mahngang zum Tatort an der Unteren Wernerstraße statt, wo früher das Wohnhaus der Familie Genç stand.

In der Solinger Innenstadt wurde jetzt der Mevlüde-Genç-Platz eingeweiht. (Foto: © Bastian Glumm)
In der Solinger Innenstadt wurde jetzt der Mevlüde-Genç-Platz eingeweiht. (Foto: © Bastian Glumm)

Dort luden der Imam der DiTIB-Gemeinde Solingen, Ali-Riza Yilmaz, und die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, Dr. Ilka Werner, zum gemeinsamen Gebet ein. Vor der zentralen Gedenkveranstaltung am Montag baten die DiTIB-Gemeinde und Angehörige der Familie Genç an der Unteren Wernerstraße zur Andacht an Gürsün İnce, Hatice Genç, Gülüstan 30. Jahrestag des SoliÖztürk, Hülya Genç und Saime Genç.

Mehrere Versammlungen und Veranstaltungen in Solingen

In Gedenken an den Brandanschlag vor 30 Jahren fanden am Montag in Solingen mehrere Versammlungen und Veranstaltungen statt. An der zentralen Veranstaltung im Theater und Konzerthaus nahmen neben etwa 600 geladenen Gästen aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft teil. Zudem riefen mehrere Privatpersonen und Organisationen zu Aufzügen und Kundgebungen in Solingen auf.

An einer von der DITIB-Gemeinde organisierten Versammlung nahmen zwischen 10:00 Uhr und 12.00 Uhr etwa 200 Personen teil. Für den Zeitraum von 12.00 Uhr bis 16.30 Uhr hatte das „Bündnis Solinger Appell“ zu einem Aufzug aufgerufen, an dem sich in der Spitze rund 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer beteiligten.

Polizei fertigte drei Strafanzeigen

19 Teilnehmer zählte die Fahrrad-Sternenfahrt des Landesintegrationsrates NRW mit abschließender Kranzniederlegung an der Untere Wernerstraße. Zwischen 13.30 Uhr und 15.00 Uhr nahmen etwa 60 Personen an der Kundgebung des Internationalen Bündnis auf dem Walter-Scheel-Platz teil.

Etwa 20 Personen zählte die Gedenkveranstaltung der ATIB an der Untere Wernerstraße zwischen 16.00 Uhr und 16,30 Uhr. An der angemeldeten Kundgebung einer Privatperson auf dem Mühlenplatz trafen zwischen 12.00 Uhr und 13.15 Uhr insgesamt zehn Teilnehmer ein. Im Verlauf der Versammlung formierte sich ein lautstarker Gegenprotest, bestehend aus etwa 260 Personen. Wegen der Nichtanmeldung einer Versammlung und zwei Beleidigungen fertigte die Polizei drei Strafanzeigen.

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Dieser Beitrag stammt von unserer Redaktion.

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