Von Svitlana Glumm
Engelsklinge
Buch 1 – Tödlicher Schlag
Aus dem Russischen
Kapitel 11.1
Lucia betrat die Küche und legte die Schlüssel auf den Tisch. Sie zog ihre leichte Strickjacke aus und blieb im Tanktop stehen. Der langersehnte Frühling war im April endlich gekommen und die Bewohner Roms zog es hinaus aus der Stadt, näher ans Meer. Am Wochenende plante Lucia, an den Strand zu fahren, um ein paar Tage fern von den immer gleichen Gesichtern und der endlosen Arbeit zu verbringen. Leo stand ganz oben auf der Liste der Personen, mit denen sie ihren Urlaub auf keinen Fall verbringen wollte. Zwar hatte er seine Prüfung nicht bestanden, aber die Vorbereitungen waren abgeschlossen, und Lucia konnte nur hoffen, dass ihr eigenes Beispiel und Leos angeborene Fähigkeiten als Wächter ihm helfen würden, seine Aufgaben erfolgreich zu meistern.
Einen Monat zuvor hatte Lucia Dokumente auf den Namen Leonardo Ricci organisiert. In einem Verwaltungszentrum arbeitete ein vertrauenswürdiger Kontaktmann, Piero Barbadico, über den Engel in Italien entweder Dokumente erstellten oder verlängerten, um ihrer äußeren Altersstufe zu entsprechen. Solche Personen gab es in jedem Land und sie hatten Aegor geschworen, das Geheimnis der Anwesenheit von Engeln auf der Erde zu wahren.
Anfang April hatte Leo sich an der Schule San Saba angemeldet, um einen Schulabschluss zu machen. „Natürlich nehmen dich mit diesen gefälschten Noten aus deiner ‚vorherigen Schule‘ in Padua alle Gymnasien auf“, hatte Lucia mit einem Schmunzeln gesagt, als sie seine angebliche Zeugnisübersicht sah. Der Plan war, dass Leo nach seinem Abschluss und mit den neuen Papieren einen Studienplatz beantragen könnte, wie Lucia es damals getan hatte. Nachts sollte er mit ihr gemeinsam Dämonen jagen. Doch Leo hatte entschieden, die letzten Monate in der Schule zu verbringen.
Lucia ließ Leo noch nicht allein auf Missionen. Wäre er bei einer seiner ersten Verfolgungen getötet worden, hätte sie sich Ärger von Angel eingehandelt. Das wollte sie auf keinen Fall riskieren, da sie nicht die wütenden Reden des Leiters von Aegor ertragen wollte. Deshalb beschloss sie, Leo anfangs bei ihren Einsätzen zu begleiten.
Lucia wusste sofort, warum Leo in die Schule gegangen war. So konnte er Geld sparen, das ihm von Aegor zur Verfügung gestellt worden war, und weiterhin bei ihr wohnen, anstatt eine eigene Wohnung zu mieten. Nach der Ausbildungsphase erhielten Engel eine bestimmte Summe Geld, um sich auf die Suche nach einem Job vorzubereiten. Als Schüler musste Leo jedoch mindestens einen Vormund haben und entsprechend mit diesem zusammenleben. Die Geschichte über eine Cousine aus der Hauptstadt passte also perfekt.
Lucia wollte jedoch nicht, dass Leo seine Tage mit Nichtstun verbrachte. Sie hatte mit Barnabo vereinbart, dass ihr „Cousin“ dem Mann bei der Lieferung von Waren helfen würde. Nach der Schule radelte Leo nun durch die Gegend, um frisches Gebäck an Kunden zu liefern, mit einem Fahrrad, das er sich von dem bereitgestellten Geld gekauft hatte. Am Ende des Monats, als er sein erstes Gehalt erhielt, meldete Leo sich für einen Führerscheinkurs an, um ab Herbst nicht mehr auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen zu sein.
Lucias Armbanduhr zeigte Viertel vor drei. Leo müsste bereits bei Barnabo angekommen sein. „Vielleicht gehe ich ins ‚Pepoli‘ und lasse mich von ihm bedienen“, dachte sie amüsiert und stellte sich sein erstauntes Gesicht vor, wenn er sie als Kundin sah.
In letzter Zeit, wenn viele Gäste im „Pepoli“ waren, bat der rundliche Barnabo Leo, ihm bei den Getränken zu helfen. Während Leo an der Kaffeemaschine stand, verließ René seinen alten Posten und bediente zusammen mit Barnabo die Kunden am Tresen. Bald würde die Urlaubssaison beginnen und mit dem Touristenansturm in die Hauptstadt würde es für Leo immer Arbeit geben – zusätzlich zu den Bestellungen, die er und René abwechselnd auslieferten.
„Das wird sich auf meinen Lohn auswirken“, hatte Leo gesagt. „Und wer braucht schon kein Geld?“ Er hatte mit einem schelmischen Lächeln seine Schultasche gepackt.
Plötzlich klingelte Lucias Minifon. „Wer könnte mich jetzt brauchen“, wunderte sie sich. Heute war sie früher von der Arbeit nach Hause gegangen, da ein Kunde den Bericht am Morgen abgeholt und bezahlt hatte. Um nicht unnötig im Büro herumzusitzen und Isabella zu irritieren, hatte Lucia beschlossen, nach Hause zu fahren, ihre Sachen zu packen und sich auf den Weg zum Strand zu machen – sie hatte schließlich zwei wohlverdiente freie Tage.
Sie zog das Minifon aus der Tasche ihrer Jeans. Eine Hologrammanzeige erschien mit einer Nummer und dem Namen des Anrufers: Leo.
„Warum lässt Barnabo ihn die Arbeit schleifen und herumtelefonieren?“ Sie runzelte die Stirn, während das Minifon weiter in ihrer Hand vibrierte.
Vielleicht lässt Leo mich in Ruhe, wenn ich nicht rangehe, schoss es Lucia durch den Kopf. Doch die laute Melodie des Minifons hörte nicht auf und brachte sie allmählich zur Weißglut. Als ihr klar wurde, dass Leo nicht aufgeben würde, drückte sie widerwillig auf die Annahmetaste.
„Hallo, Lucia“, meldete sich Leo, außer Atem. „Ich habe ein Anliegen.“ Im Hintergrund hörte sie die Stimmen von Jungs, die darüber diskutierten, wie sie das Tor hätten treffen sollen.
„Bist du noch in der Schule?“ Lucia kämpfte mit sich, Leo nicht direkt für seine Nachlässigkeit anzuschreien. Es hatte sie ohnehin einiges an Überredungskunst gekostet, Barnabo dazu zu bringen, Leo einzustellen. Und jetzt brachte er sie in Schwierigkeiten.
„Ja“, antwortete der Wächter und holte tief Luft, um sein Atmen zu beruhigen. Nach einem langsamen Ausatmen sprach er wie gewohnt weiter.
„Hattet ihr Fußball?“, fragte Lucia. „Aber du weißt doch genau“, fügte sie mit erhobener Stimme hinzu, „dass freitags immer besonders viele Kunden in der Bäckerei sind! Also schnapp dir dein Rad und mach dich auf den Weg zu Barnabo!“
„Das geht nicht“, kam die entschuldigende Antwort von Leo, die Lucia für einen Moment innehalten ließ. „Mein Fahrrad ist zu Hause, und heute Nachmittag übernehme ich ab drei Uhr Renés Schicht bei den Getränken.“
Lucia zischte vor Ärger. Was für ein Idiot, dachte sie. Woran hast du gedacht, als du heute Morgen zur Schule gegangen bist?
„Und warum hast du dein Rad nicht mitgenommen, wo du doch weißt, dass du heute viel zu tun hast?“, fragte sie scharf.
„Ich dachte, ich schaffe es, vorher nach Hause zu fahren“, gestand er.
Lucia hörte das Geräusch einer sich schließenden Schranktür und das Rauschen von Wasser. Offenbar war Leo gerade auf dem Weg zu den Duschen.
Ein schlechteres Argument als „Ich habe das Fahrrad vergessen“ hätte er nicht bringen können, dachte sie wütend. Es war klar, dass er es nicht rechtzeitig zur Bäckerei schaffen würde.
„Und?“ Sie ahnte bereits, worauf Leo hinauswollte, ließ sich aber nicht dazu hinreißen, von sich aus Hilfe anzubieten. Soll er selbst darum bitten, dachte sie.
„Kannst du mich abholen?“, fragte Leo leise. „Barnabo bringt mich um“, fügte er flehend hinzu.
Lucia seufzte genervt. Ich bring dich um, Junge, dass du mir mein Wochenende kaputt machst, wollte sie schreien. Dir bleiben noch fünfzehn Minuten. Genau genommen dreizehn. Selbst wenn Leo sich in einer Minute fertig machte, würde Barnabo in der Zwischenzeit zwischen Tresen und Kaffeemaschine hin- und herhetzen müssen. Der Mann war zwar dafür bekannt, seine Versprechen zu halten und René wie vereinbart gehen zu lassen, aber das würde Leo nicht davor bewahren, sich den Zorn seines Chefs zuzuziehen – es sei denn, er nutzte die blitzschnellen Fortbewegungsmethoden eines Engels, was in belebten Gegenden streng verboten war.
„Okay“, sagte sie schließlich, obwohl sie nicht vorhatte, die Situation zu retten, falls Leo doch zu verbotenen Mitteln greifen sollte.
Sie beendete den Anruf, ohne auf Leos überschwänglichen Dank einzugehen, zog ihre Jacke über und rannte aus der Wohnung. Im leeren Treppenhaus sprang sie über das Geländer und stand wenige Sekunden später auf der Straße.
Die Privatschule Sankt Stephan, die Leo besuchte, war in einem ehemaligen Kloster auf dem Aventin-Hügel untergebracht. Als Lucia von dem breiten Angebot an außerschulischen Aktivitäten wie Sport, Musik, Fotografie und Theater hörte, hatte sie Leos Wahl akzeptiert. Der Schulkomplex verfügte über vier naturwissenschaftliche Labore, zwei Kunststudios, eine Bibliothek mit 20.000 Büchern, eine Aula, ein Theater, Basketball- und Volleyballplätze, Tanz- und Yogastudios sowie Leichtathletik- und Fußballfelder.
Auch wenn Leo weder der Sohn eines Diplomaten noch eines Regierungsangestellten oder eines reichen Unternehmers war – genau diese Kategorie Kinder konnte sich den Besuch dieser europaweit bekannten Schule leisten –, wurde er für das letzte Semester aufgenommen. Das lag nicht nur an seinen „hervorragenden“ Noten und der Bezahlung, sondern vor allem an der Hilfe eines Schutzengels, der als stellvertretender Vorsitzender des Stadtrats von Rom tätig war. Ohne dessen Einfluss hätte Leo von dieser Schule nur träumen können.
Leo hatte Lucia inständig gebeten, ihn an genau dieser Schule unterzubringen, und war bereit gewesen, alles zu tun, was sie verlangte, um sein Ziel zu erreichen. Am Ende gab Lucia seinen Bitten nach und rief Giulietta an. Ihre Freundin hatte nichts versprochen, doch eine Woche später erhielt Lucia die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch für Leonardo Ricci mit dem Direktor der Schule Sankt Stephan. Zum Glück konnte Leo alle Fragen zu den unterrichteten Fächern souverän beantworten und bestand den psychologischen Test mit Bravour.
„Natürlich“, hatte Lucia schmunzelnd gesagt, als Leo ihr vom Gespräch berichtete. „Wenn du kein Engel wärst, hättest du tagelang büffeln müssen – und selbst dann wäre es fraglich gewesen, ob du bestanden hättest. Aber so hast du ein paar Tage in Büchern geschmökert, um dein Gedächtnis aufzufrischen.“
Lucia parkte ihr Motorrad vor der Steinmauer an der Via Aventina Nummer 3, hinter der sich der imposante Komplex der hellbraunen Gebäude erstreckte. Auf dem kunstvoll geschmiedeten Tor war der Spruch „Mens Voluntas Gratia“ eingraviert.
Sie nahm ihre Motorradbrille ab und lehnte sich gegen ihre „Ducati“, während sie auf Leo wartete. Ein Blick auf ihre Uhr verriet ihr, dass nur noch acht Minuten bis drei blieben. Sie würde sich beeilen müssen, um Leo rechtzeitig zu Barnabo zu bringen – vorausgesetzt, sie erwischte keine Polizisten und kassierte keinen Strafzettel für überhöhte Geschwindigkeit. Das wäre nicht nur lästig, sondern würde Barnabo auch noch länger warten lassen.
Unter den Schülern, die durch das Tor nach draußen strömten, war Leo nicht zu sehen. Die meisten fuhren in teuren Autos davon, während eine Gruppe älterer Schülerinnen stehen blieb und sich lautstark über den Tanzunterricht unterhielt. Besonders amüsierte sie die vermeintliche Unfähigkeit einer Mitschülerin namens Stella. Mit bissigen Kommentaren machten sie sich über ihren misslungenen Paso Doble lustig, offenbar ein weiterer Anlass, um Stella zu erniedrigen. Lucia war der Spott der Mädchen schnell zuwider und sie wandte sich um, als sie Leo endlich am Tor entdeckte.
Endlich! dachte sie genervt und beobachtete, wie Leo hastig auf sie zuging. Als er an den Mädchen vorbeikam, schossen diese ihre abfälligen Blicke und Kommentare auf ihn ab, wobei sie ihre Diskussion über Stella für später aufschoben.
Eine dunkelhaarige Schülerin mit vollen Lippen betrachtete Leo mit unverhohlenem Abscheu. Wer ist denn dieser Typ? fragte sie sich spöttisch. Er gehört nicht auf unsere Schule. Ein gewöhnlicher Niemand, der es nicht verdient, hier zu sein. Woher hat er überhaupt das Geld für die Aufnahme, wenn man nichts über seine Familie weiß?
Mit einem Ellbogenstupser machte sie ihre Freundin auf Leo aufmerksam. „Schau dir den Typen an“, meinte sie und deutete mit einem Nicken in Leos Richtung. „Sein Stil ist eine Katastrophe und er selbst sieht auch nicht besser aus. Hast du gesehen, wie er als Letzter aus dem Labor kam? Ein Streber.“
Die Mädchen kicherten.
„So ein ‚Schönling‘ wird schon das passende Mädchen finden“, fügte eine andere, eine brünette Schülerin, sarkastisch hinzu. Mit absichtlich gedehnten Worten und hochmütigem Blick taxierte sie Leo, als sei sie eine Göttin, die sich herabließ, einen Sterblichen zu mustern.
Lucia konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen und sah zu Leo hinüber. Er reagierte nicht im Geringsten, obwohl er die abfälligen Worte und Gedanken seiner Mitschülerinnen klar vernommen hatte.
Als die dunkelhaarige Schülerin Lucia bemerkte, die lässig am Motorrad lehnte, richtete sie ihren abwertenden Blick auf sie. Wer ist das denn? fragte sie sich abschätzig. Vielleicht wartet sie auf Steve? Er hat doch mal erzählt, dass er mit einer älteren Frau zusammen ist. Wenn das diejenige ist, werde ich ihn bitten, uns bekannt zu machen. Vielleicht lässt sie mich auf ihrem Motorrad mitfahren – Papas Mercedes hängt mir nämlich langsam zum Hals raus.
Lucias Mundwinkel zuckten zu einem sarkastischen Lächeln. Dass dir nicht einmal in den Sinn kommt, dass jemand deine Gedanken lesen könnte, ist schon amüsant, dachte sie. Was würdest du wohl tun, wenn du wüsstest, dass ich alles höre? Wahrscheinlich würdest du Leo plötzlich in den Himmel loben. Du, die verwöhnte Tochter reicher Eltern, die sich selbst für besser hält als die Freundinnen, mit denen sie lacht. Heute hast du Stella, über die du dich lustig machen kannst. Aber was, wenn morgen niemand da ist? Dann wendest du dich gegen deine eigenen Freundinnen. Dein Leben lang wurdest du von deinen Eltern bemuttert, mit einem streng durchgetakteten Plan für deine Zukunft. Vielleicht haben sie dich vor dem ‚Glück‘ bewahrt, ein normales Mädchen mit eigenen Träumen zu sein, aber letztlich bist du erbärmlich. Solche wie dich kann ich nicht ausstehen.
Leo erreichte Lucia und blieb vor ihr stehen. Die Schülerinnen verstummten plötzlich, offenbar gespannt, was als Nächstes passieren würde.
Sie ist ihretwegen hierhergekommen! Die dunkelhaarige Schülerin musterte Lucia mit unverhohlener Überraschung. Eine der Freundinnen, die brünette Schülerin, schnappte nach Luft und schlug sich eine Hand vor den Mund, als wäre die Vorstellung unerträglich.
Das kann nicht sein! schoss es ihr durch den Kopf. Der Streber sollte in seiner Ecke bleiben und sich nicht herauswagen!
Lucia genoss den Moment und lächelte spöttisch. Ihr habt ja noch nichts gesehen, Mädchen, dachte sie zufrieden.
Lucia warf den Mädchen einen vielsagenden Blick zu, bevor sie Leo abrupt am Kragen packte, ihn zu sich zog und ihn auf die Lippen küsste. Die Augen der Schülerinnen weiteten sich und für einen Moment schienen ihre Herzen auszusetzen. Ihre wütenden Blicke bohrten sich in Lucia, als wollten sie sie an Ort und Stelle vernichten.
Wie konnte sie zulassen, dass sie ihn so erniedrigen, indem sie sich ausgerechnet den unglücklichen Neuling aussuchten? Lucia hatte den Gedanken der Brünetten gelesen und verhinderte, dass sie sich weiter an ihm amüsierten.
Die junge Frau biss Leo sanft in die Unterlippe. Der Junge schloss die Augen, zog Lucia näher zu sich und umarmte sie an der Taille. Lucia legte ihre Hände auf seine Schultern und ließ ihn seinen ersten Kuss im Leben genießen. Nach einem Moment stieß sie Leo sanft von sich weg.
„Ich habe lange auf dich gewartet, Liebling“, sagte sie laut genug, damit die Mädchen es hören konnten. „Wir müssen los.“
Leos Wangen färbten sich rot, seine Augen strahlten vor Glück. Er blieb stehen, unfähig, den Blick von Lucia abzuwenden.
Lucia setzte sich auf das Motorrad. „Steig auf, Apollon“, zischte sie. „Die Show ist vorbei. Du hast noch etwas zu erledigen.“
Der Junge gehorchte, setzte sich hinter sie und verstand, dass es keine Fortsetzung geben würde. Zögernd legte er die Arme um Lucias Taille.
Lucia drehte sich um. Die älteren Schülerinnen waren immer noch fassungslos, in ihren Augen stand pure Verwirrung.
Ich sollte Steve Bescheid geben, damit er sich um diesen Kerl kümmert, schoss ein wütender Gedanke durch den Kopf der Brünetten.
Lucia beschloss, den Schulmädchen keine Beachtung mehr zu schenken und fuhr mit dem Motorrad los.
„Wer ist Steve?“, fragte sie Leo.
„Mein bester Freund“, antwortete er, seine Stimme klang direkt an ihrem Ohr.
„Bist du sicher?“
„Ja. Nach dem heutigen Spiel, als wir unsere Gegner in Grund und Boden gespielt haben, hat Steve, unser Kapitän, vor allen Jungs zugegeben, dass ich der Grund für den Sieg war. Und wenn der Kapitän das zugibt – das ist cool!“ Leo pfiff anerkennend.
„Ich hatte dich gebeten, keine…“
„Nur ein kleines bisschen“, unterbrach Leo sie. „Versteh doch, das Leben in der Schule, besonders für Kinder allmächtiger Eltern, ist nichts für schwache Nerven. Und das, was du vor dem Tor gesehen hast, war nur die Spitze des Eisbergs.“
„Ich verstehe, aber trotzdem: Es ist besser, nicht aufzufallen“, sagte Lucia trocken.
„In Ordnung“, stimmte Leo zu. „Ich werde es versuchen.“
Lucia wusste, dass er sich nicht daran halten würde und seine Fähigkeiten noch öfter einsetzen würde. Aber sie wollte jetzt keinen Streit vom Zaun brechen. Sie konnte das Gefühl, das während des Kusses mit Leo in ihr aufkam, einfach nicht verdrängen. Eine Welle von Zärtlichkeit hatte sie überrollt, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen. Ein sanftes Kribbeln in ihrem Bauch entfachte ein überwältigendes Verlangen, Leo nicht von sich loszulassen.
Alle ihre früheren Liebhaber, mit denen sie nie eine langfristige Beziehung gehabt hatte, schienen im Schatten zu verblassen, als sie Leos Lippen berührte. Etwas war in diesem Moment geschehen – etwas, das sie zuvor nie erlebt hatte. Etwas, das ihr Herz schneller schlagen ließ und sie mit einer tiefen, unerwarteten Wärme erfüllte.
– Fortsetzung folgt –
Zur Autorin
Svitlana Glumm wurde in Kropywnyzkyj in der Ukraine geboren. Die 44-Jährige studierte an der dortigen Universität Geschichte und später an der Uni in Kiew Journalismus. Als Journalistin arbeitete sie über zehn Jahre für Zeitungen in Kiew und Kropywnyzkyj, sie ist Mitglied im Journalistenverband der Ukraine. Svitlana Glumm verfasste mehrere Bücher, Manuskripte und Kurzgeschichten rund um die Themen Fantasy und Mythologie. Seit April 2022 lebt sie in Solingen.