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Engelsklinge – Buch 2: In Nebel gehüllt (Kapitel 6.2)

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Lucia und Adrian auf dem Dinnerempfang in San Francisco.
Lucia und Adrian auf dem Dinnerempfang in San Francisco. "Engelsklinge" wurde von der ukrainischen Autorin Svitlana Glumm verfasst. (Bild: Open AI)

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Von Svitlana Glumm

Engelsklinge

Buch 2 – In Nebel gehüllt

Aus dem Russischen

Kapitel 6.1

„Wie kommt es, dass ein so reizendes Mädchen dem Schulpsychologen unterstellt ist?“,  fragte Adrian interessiert und nahm einen Schluck.

Hast du etwa nichts Besseres zu besprechen? Lucia runzelte die Stirn. Gibt wohl nichts Wichtigeres, als mich auszufragen, was? Erzähl lieber deine Geschichte – wie hast du es geschafft, in zwei völlig gegensätzliche Angelegenheiten gleichzeitig verwickelt zu sein?

„Wir haben einen gemeinsamen Freund“, antwortete das Mädchen widerwillig.
Das entsprach der Wahrheit. Es war Angel, der sie gebeten hatte, mit Elijah zusammenzuarbeiten. Natürlich wäre es reichlich dreist, den Anführer von Ageor als „Freund“ zu bezeichnen – aber der Junge wird’s überleben.

„Verstehe“, schmunzelte der Mann.
Der glaubt mir nicht, schoss es Lucia durch den Kopf. Na, egal. Hauptsache, ich habe deine Frage beantwortet. Sie schnalzte mit der Zunge und schenkte dem Brünetten einen ironischen Blick.

„Und was ist mit dir?“, fragte sie dann, entschlossen, ihm wenigstens einen Funken Wahrheit zu entlocken – einem Mann, der sich selbst für einen Meister darin hielt, seine Spuren zu verwischen. Was hat den einflussreichsten Mann Polens in ein Land voller Emigranten geführt? Sag mir bloß nicht, es sei nur das Geschäft gewesen? Sie kicherte leise.

Adrians Augen verengten sich, und ein kurzes Lachen entwich seiner Brust.
„Kein dummes Mädchen“, stellte er fest und erkannte, dass seine Gesprächspartnerin nicht nur hübsch war. „Aber ich muss dich leider enttäuschen, meine Liebe – es ist tatsächlich nur die Arbeit“, sagte er, hob sein Glas an die Lippen und nahm einen Schluck.

Spott ist meine Stärke, Adrian, dachte Lucia und verzog den Mund. Und du sagst bloß, was die Leute hören wollen. Aber ich bin nicht jemand, dem du frech ins Gesicht lügen und hinterm Rücken lachen kannst. Du spielst ein gefährliches Spiel – mit sehr hohen Einsätzen.

„Und jetzt fahren wir zu einem ganz gewöhnlichen Abendessen, bei dem ich Geschäfte mit Partnern und Kollegen bespreche“, sagte der Mann und traf Lucias Blick. Seine dunklen Augen glänzten im gedämpften Licht des Fahrzeuginnenraums – voller Vorfreude auf die Gefahr, die für einen der reichsten Männer der Welt längst zum ständigen Begleiter geworden war.

Wenn jemand weiß, was hinter den Wänden von Luxushotels, prestigeträchtigen Büros und Regierungszimmern geschieht, dann du, dachte Lucia spöttisch. Ein falsches Wort, eine unbedachte Geste, eine einzige Handlung – und nicht nur deine Karriere geht den Bach runter. Dein Leben hängt dann am seidenen Faden. Wie damals, vor vielen Jahren, als du beinahe das Wertvollste verloren hättest – etwas, das sich weder mit Banknoten noch mit Goldbarren aufwiegen lässt. Niemand weiß von diesem Vorfall – du kannst unnötige Dokumente verschwinden lassen, Zeugen zum Schweigen bringen, manchmal für immer. Aber es gibt jene, die Gedanken lesen können. Und Dämonen wühlen nachts in deinen Erinnerungen und bringen dir Alpträume.

In Adrians Gedanken reihten sich lange Flure an endlose Büros, Geschäftstreffen an späte Abendessen. Gespräche mit Mitarbeitern, das Kennenlernen wichtiger Personen.
Sein erstes Treffen mit dem Botschafter blieb am eindrücklichsten: der strenge schwarze Anzug, Aktenmappen voller Dokumente, das Zittern in den Fingern, Gespräche mit dem grauhaarigen Mann. Ein Abendessen in einem teuren Restaurant. Grillen auf der Villa. Alkohol. Die spitzen Witze des Botschafters. Das unangemessene Lachen seiner Frau. Ihr lasziver Blick, den sie dem jungen Attaché zuwarf. Die Einladung, sie ins Haus zu begleiten. Nasse Lippen, die ihn förmlich verschlingen wollten. Seine höfliche Ablehnung. Ihre Aufdringlichkeit. Keuchender Atem. Gekränkte Eitelkeit und Zorn. Der gellende Schrei der Botschaftergattin. Das Geräusch reißenden Stoffes. Entblößte Brust. Hastige Schritte. Unverständnis über den Grund für ein solches Verhalten. Rechtfertigungen. Grauen, das den Körper lähmt. Sirenengeräusche. Das vor Zorn kochende Gesicht des Botschafters. Der hinterhältige Blick seiner Frau. Eine Falle. Rache. Männer in Uniform. Handschellen, die jede Bewegung einschränken. Ein Bericht. Gitter vor den Fenstern. Der Besuch eines Anwalts. Richards ängstliche Augen. Kaution. Schmachvolles Entlassen. Gerichtsverhandlung. Schwarze Robe und der Schlag des Hammers. Urteil. Auswegslosigkeit. Ein Vakuum, das einen sich verzweifelt wehrenden Menschen verschlingt. Hass. Leere. Ein anonymer Anruf. Ein merkwürdiges Gespräch. Umzug nach Krakau. Wiedereinsetzung in die Position des Attachés. Neue Aufgaben. Namen unbekannter Leute, die vor seinen Augen vorbeiziehen. Ein Federstrich – und die Listen verschwanden vom Tisch. Abgestumpftheit gegenüber dem, was war. Auslöschung von Mitgefühl in sich selbst. Ausschaltung von Zeugen vergangener Taten. Brandy. Zigarrenrauch. Eine Parade von Frauengesichtern. Umzug nach Frankfurt. Das Jahr 2093. Begegnung mit Brandon North. Falsche Erleichterung. Doppelleben. Weinat.

Lucia wandte den Blick ab, damit Adrian nicht merkte, dass sie sehr wohl vom geheimen Rat wusste. Wie hätte er das auch verstehen sollen, wenn er keine Gedanken lesen konnte? Trotzdem sollte man seine Beobachtungsgabe nicht unterschätzen, merkte das Mädchen an.

„Na gut“, seufzte sie und tat so, als wären Adrians Worte nichts als die reine Wahrheit.
Soll er doch denken, er hätte mich durchschaut, entschied Lucia, besser als wenn er merkt, dass ich ihm zwei Schritte voraus bin.

Adrian leerte sein Glas und stellte es leer auf das Tischchen.

„Haben dich die Kinder nicht schon genervt?“, wechselte er das Thema.

„Eigentlich nicht. Warum fragst du?“, entgegnete sie mit einer Gegenfrage.

„Naja, es sind ja keine gewöhnlichen Kinder“, antwortete der Mann. Er drückte auf einen Knopf neben seinem Sitz und gab dem Fahrer das Zeichen weiterzufahren. „Sie waren bereits auf der Straße zur Hölle.“

Der Limousinen fuhr sanft durch die abendlichen Straßen Richtung Downtown.

„Na und? Haben sie drei Arme oder was?“, Lucia drehte den Finger an der Schläfe.

Adrians Mundwinkel zuckten leicht.

„Darum geht es nicht, meine Liebe. Ich glaube einfach nicht, dass sie völlig normale Kinder sind. Man sagt, die Straße verändert einen.“

Lucia zuckte mit den Schultern.

„Vielleicht. Aber die Probleme, mit denen sie in ihrem früheren Leben konfrontiert waren, sind auch jetzt noch da. Ich selbst war nie auf der Straße“, fügte sie hinzu.

Obwohl Lucia brannte vor Verlangen, das Ungeziefer auszulöschen, war Angels Befehl, sie nicht dorthin zu lassen, unmissverständlich. Und der Psychologe hielt sich daran, trotz all ihrer Versuche, ihn zu bestechen. Dämonen zu töten war ihr Ziel, aber die Fragen zur Straße blieben Angelegenheit von Ageor. Natürlich verdrehte Lucia jedes Mal genervt die Augen, wenn das Thema Portal wieder aufkam und ihr verboten wurde, sich auch nur in dessen Nähe aufzuhalten – typisch, dachte sie, ihr alle versteckt euch hinter den Regeln von Tahes, während ihr zulasst, dass Menschen sterben.

„Und hast du die Straße gesehen?“, fragte sie, obwohl sie die Antwort längst kannte. Jedes Gespräch war ihr momentan lieber als düsteres Schweigen. „Und wenn ja, hat sie dich verändert?“

Adrian schnaubte.

„Glaubst du etwa, das würde mich bekehren?“ Sarkasmus schwang in seiner Stimme mit. „Glaube ist das, was Menschen brauchen, um nicht den Mut zu verlieren. Sie müssen an etwas glauben, ein Ideal schaffen, eine Vorstellung von Vollkommenheit. Etwas, das sie nicht begreifen können und das sie anbeten“, wurde er nun redseliger.

Offenbar traf das Thema Glaube einen Nerv bei ihm. Wahrscheinlich haben dich Sonntagsschulen und Predigten der Priester ziemlich genervt, dachte Lucia spöttisch, während sich ein leichtes Grinsen auf ihren Lippen zeigte.

„Sei es Buddha, Christus, die ägyptischen Götter, die römischen oder übernatürliche Wesen vom Olymp – der Mensch ist so gestrickt, dass er an etwas glauben muss. Dann fühlt er sich sicher. Ohne sich für Entscheidungen rechtfertigen zu müssen, die andere für ihn treffen. Und so rechtfertigt er Verrat, Kriege, Genozid.“

„Bist du Atheist?“

„Ja.“

„Aber an etwas glaubst du doch“, schmunzelte das Mädchen, indem sie sich auf den Ausdruck bezog, den der Brünette selbst verwendet hatte. „Du hast ja selbst gesagt, dass der Mensch so gestrickt ist…“

Der Mann stoppte Lucia mit einer Geste.

„Und ich widerrufe meine Worte auch nicht“, beeilte er sich zu sagen. „Nur glaube ich nicht an Religion oder etwas Übernatürliches.“

„Aber dennoch…“

Adrian dachte kurz nach und rieb sich mit der Fingerkuppe des Zeigefingers die Nasenwurzel.

„An einen Traum“, sagte er nach einer kurzen Pause.

Lucia zog überrascht die Augenbraue hoch.

„Aber darüber werde ich nicht sprechen“, warnte der Brünette sie sofort davor, weitere Fragen zu stellen.

Lucia nickte und wandte sich dem Fenster zu.

Wir wissen schon von deinem Traum, Adrian, dachte sie mit einem leichten Schmunzeln, aber wir sagen vorerst nichts.

„Und noch etwas will ich sagen“, ertönte Adrians Stimme im Fahrzeuginnenraum. „In dieser Welt hat alles und jeder seinen Preis. Sogar der Glaube.“

Die Aussicht von der Terrasse war atemberaubend. Selbst für Lucia, die längst gelernt hatte, dass kein noch so himmlischer Ausblick das übertreffen konnte, was man mitten im Herzen des Schönen erlebte. Solche Momente waren die aufregendsten und die, die man am meisten im Gedächtnis behielt. Der Schöpfer war wahrlich ein Künstler – ein Erschaffer von Wundern, die sich harmonisch in das große Ganze einfügten.

Die dunkelblauen Wasser der Bucht verschmolzen mit dem von funkelnden Sternen übersäten Himmel. Eine sanfte Brise bewegte die Palmblätter und streichelte ihr Gesicht mit angenehmer Kühle.

Und da sagt man, dass die Nächte im Mai nicht warm wären, dachte Lucia und nippte an ihrem Martini-Glas.

Adrian war gerade in ein Gespräch mit Brandon North vertieft – einem alten Bekannten, der genau im richtigen Moment in sein Leben zurückgekehrt war. Auch wenn ihre Bekanntschaft kein Zufall war.

Der Historiker und Japanologe, der sein ganzes Leben dem Land der aufgehenden Sonne gewidmet hatte, lebte zwar auch in Amerika, sah es aber als Pflicht, dort zu sein, wo sein Herz war. Und im Herzen von Brandon hatten sich die Traditionen und die Kultur Japans tief verankert.

Kein Wunder, dachte Lucia, während sie den großen Mann mit dem kleinen Zopf beobachtete, der sich wesentlich zurückhaltender benahm als die übrigen Gäste, dass du dir auch eine passende Ehefrau ausgesucht hast.

Lucia ließ für einen Moment ganz menschliche Gedanken in ihren Kopf eindringen. Und als sie die Schwelle der Lobby des Fünf-Sterne-Hotels an der Bucht von San Francisco übertrat, wusste sie bereits genug, um mit dem Gefühl erfüllter Pflicht einfach nach Hause zu gehen. Doch sie musste die Rolle weiter spielen – die Rolle der gewöhnlichen Frau, die an diesem Abend Mr. Oberlan begleitete.

Wieder eine aus seiner Sammlung, verzog Lucia unwillkürlich das Gesicht bei dem Gedanken. Ihr wurde flau im Magen. Ich muss mir den Abend irgendwie versüßen, beschloss sie, hob das Kinn leicht an und betrat an Adrians Seite mit königlicher Haltung den Festsaal. Dann sollen es eben Geheimnisse sein. Und davon hatten die Menschen reichlich. Intrigen gegen Kollegen, Hass auf Vorgesetzte, Neid auf Reichtum und Ruhm bekannter Politiker, die Befriedigung der Lust mit der Frau des besten Freundes – Lucia hörte auf, die widerlichen Gedanken zu lesen, und zwang sich zu einem freundlichen Lächeln.

Etwa fünfzig Augenpaare richteten sich auf sie, prüften die neue Begleiterin von Mr. Oberlan. In den Gesichtern einiger Männer zeigte sich Neugier, andere jedoch wandten sich sofort ab und setzten ihre durch das Erscheinen des Paares unterbrochene Gespräche fort.

Ich weiß, ihr gebt euch absichtlich gleichgültig, dachte Lucia wütend. Aber in euren verdorbenen Köpfen kreisen genau dieselben Gedanken. Ihr seid nur sauer, weil Adrians Frau ein verbotenes Früchtchen ist.

Die neidischen Blicke der älteren Damen und die Schmollmünder der jungen Mädchen sprachen ebenfalls nicht gerade für eine freundliche Haltung gegenüber Lucia.

Gebt ihnen nur einen Anlass – sie würden sich gegenseitig umbringen, bemerkte sie spöttisch. Und der Anlass könnte alles sein: das schönere Kleid, das jüngere Alter oder ein Begleiter – vor allem einer mit einem Status, der über allem stand. Ja, Adrian, du verstehst es, eine Frau unglücklich zu machen, schoss es ihr durch den Kopf. Es reichte, sie in ein Luxushotel zu schleppen, das voller Giftschlangen war.

Lucia und Adrian wurden gemeinsam mit Brandon und Joséphine an einen Tisch gesetzt. Beide waren langjährige Bekannte von Adrian und vertraten die Regierung. Brandon war Vorsitzender des Ausschusses für Kunstfragen, während Joséphine als Assistentin des Ministers für Sozialpolitik arbeitete.

Deine Geschäftspartner sehe ich hier allerdings nicht, Adrian, dachte Lucia spöttisch und erinnerte sich an seine Worte im Wagen. Nur schwarze Anzüge, nannte sie die Regierungsvertreter beider Kontinente. Von Geschäft war hier keine Spur – es sei denn, man betrachtete den Genozid an der Menschheit als lohnende Investition, mein Lieber.

Brandon und Joséphine erklärten Adrian, der erst seit kurzem zum Kreis der Auserwählten zählte, auf subtile Weise die Verhaltensregeln, damit er seine Arbeit ungestört verrichten konnte – ohne, wie sie es nannten, „der Nagel im Anzugtaschenfutter des Chefs“ zu sein. Und ihr Chef war bei allen derselbe: der Premierminister – ein launischer, neidischer Mensch, der weder Querdenker noch Überflieger leiden konnte.

Das Einzige, was die beiden Gesprächspartner Adrians voneinander unterschied, war ihre politische Ausrichtung. Während Joséphine eine leidenschaftliche Anhängerin des Regierungsprogramms „Neue Nation“ war, zeigte Brandon keinerlei besondere Begeisterung dafür. Doch sollte er sich einmal verplappern oder gar Kritik äußern, würde ihm nicht einmal ein Versteck in Nagoya – der Heimatstadt seiner Frau – helfen. Hätte Joséphine gewusst, dass ihr Kollege dem geheimen Rat angehörte, sie hätte ihn ohne Zögern verraten – die gemeinsamen Jahre der Zusammenarbeit wären bedeutungslos gewesen.

Während einer kurzen Pause vor dem Dessert begab sich Lucia mit einem Martini-Glas in der Hand auf die Terrasse. Am Ende des Dinners begannen üblicherweise die ernsthaften Gespräche – und sie hatte keine Lust, sich den Unsinn über das angebliche Wohl der Bürger Europas und Amerikas anzuhören.

Die Livemusik aus der rechten Ecke des Saals begleitete die zwanglosen Gespräche, deren Ergebnis oft über das Schicksal von Menschen entschied, mit denen die Elite niemals direkt in Kontakt kommen würde. Eine Geige erklang, ihr Spiel verband die Töne zu einer ruhigen Melodie, die die innersten Gefühle des Spielers widerspiegelte und die Herzen berührte. Lucia schloss die Augen. Der Geiger nahm eine hohe Note, der Klang wurde lauter und durchdringender. Gänsehaut überzog ihre Haut. Sie hielt den Atem an, gespannt auf den Moment, in dem die Spannung ihren Höhepunkt erreichen würde. Es schien, als würde die Saite unter dem Bogen gleich reißen – doch der Geiger beherrschte sein Spiel meisterhaft und nach wenigen Sekunden klang die Melodie sanfter aus, verlor sich langsam im Stimmengewirr des Raumes. Der letzte Akkord – und der Geiger verbeugte sich. Lucia öffnete die Augen. Kaum jemand hatte sich die Mühe gemacht, dem Musiker zu danken. Vereinzelter, dünner Applaus ertönte im Saal.

Ja, dachte Lucia und presste die Lippen mitfühlend zusammen, dein Spiel, Geiger, hat ihre Seelen wohl kaum erreicht. Die wahren Liebhaber deiner Musik können sich kaum eine einzige Nacht in einem Hotel an der Bucht leisten.

Lucia drehte sich um. Joséphine kam mit einem aufgesetzten Lächeln auf die Terrasse.

„Möchtest du mich auf die Damentoilette begleiten, Lucia? Ich habe die alten Freunde ihren Männerthemen überlassen“, sagte sie mit einem kleinen Lächeln, das feine Fältchen um ihre Augen warf.

Du meinst wohl Weinat, korrigierte Lucia sie im Stillen. Sie nickte und reichte dem vorbeigehenden Kellner ihr halbleeres Glas. Dann nahm sie ihre Clutch und folgte der Frau.

Joséphine richtete das feine weiße Netz ihres Fascinators, der an ihrer Frisur befestigt war, und verbarg damit ihren neugierigen Blick, als zwei junge Frauen die Damentoilette betraten. Sobald sie die Fremden bemerkten, verstummten sie sofort, unterbrachen ihr Gespräch über die Ehefrau des Premierministers, der vielleicht mit seiner Gattin erscheinen würde, um die Öffentlichkeit zu täuschen. Jeder wusste, dass er seine Geliebten wechselte wie andere Leute Handschuhe – doch zu offiziellen Anlässen erschien er ausschließlich mit der Frau, mit der er seit über zwanzig Jahren verheiratet war. Was auch immer geschah – seine Rolle als vorbildlicher Familienvater würde der Premierminister niemals öffentlich aufs Spiel setzen. Natürlich würde er heute Abend kurz auftauchen, um der Veranstaltung das nötige Prestige zu verleihen. Deshalb warteten viele im Saal, um seinen Auftritt nicht zu verpassen – den Mann, der ganz Europa regierte. Der Vizepräsident der USA hingegen erschien bei solchen Anlässen selten. Er war der Meinung, geschäftliche Angelegenheiten sollten hinter verschlossenen Türen besprochen werden.

– Fortsetzung folgt –

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Zur Autorin

Svitlana Glumm wurde in Kropywnyzkyj in der Ukraine geboren. Die 45-Jährige studierte an der dortigen Universität Geschichte und später an der Uni in Kiew Journalismus. Als Journalistin arbeitete sie über zehn Jahre für Zeitungen in Kiew und Kropywnyzkyj. Sie verfasste mehrere Bücher, Manuskripte und Kurzgeschichten rund um die Themen Fantasy und Mythologie. Seit April 2022 lebt sie in Solingen.

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