SOLINGEN (mh) – Zur Vernissage in der Galerie Kirschey empfängt Berthold Welter die Besucher im Tai-Chi-Dress. Statt einer Ansprache möchte er zeigen, woher er seine Ideen bekommt. Tai Chi ist ein ganzheitliches Bewegungstraining, das Körper und Geist ins Gleichgewicht bringen soll. „Es sind einfache Bewegungen in einem nicht sichtbaren Raum, in dem ich mich bewege“, sagt er und zeigt ein paar davon. Die Abfolge der bedächtigen Bewegungen hat etwas Beruhigendes, Fließendes. „Als ich vor rund 25 Jahren zum ersten Mal mit Tai Chi direkt in Berührung kam, wusste ich sofort: Das ist meine Brücke – die Weichheit, die nur durch innere Kraft etwas entstehen lässt. Für mich deckt sich das immer mehr mit meinem Schaffensprozess. Auch hier lasse ich die Bewegungen beim Gestalten einfach fließen. Das Formen des Materials hat etwas unglaublich Meditatives“, beteuert der Künstler.
Tai Chi als Brücke zur Kunst
Es sind essentielle Fragen, die Welter in seinem künstlerischen Schaffen antreiben – ob sie nun das Leben im Wasser oder hoch oben in den Bäumen betreffen. Er nimmt seine Besucher mit auf eine Reise durch die Elemente, die in seinen Arbeiten eine fundamentale Rolle spielen. Kunst und Natur bedingen einander und sind eine unablässige Inspirationsquelle. Man kann sich seine Kunstwerke wunderbar in der freien Umgebung vorstellen, wo sie sich wie selbstverständlich in die Landschaft einfügen, als seien sie dort gewachsen.
Die Skulpturen wecken Assoziationen zur Unterwasserwelt ebenso wie zu Pflanzen, Samen oder Insekten. Sie zeigen eine einzigartige Mischung aus filigraner Verletzlichkeit und kraftvoller Wehrhaftigkeit. Es ist ein Vergnügen, den Stein anzufassen und das Kunstwerk sowohl optisch als auch haptisch zu erfahren. Der Betrachter kramt in seinem inneren Fotoalbum nach etwas Bekanntem, was er glaubt, in der Skulptur zu sehen. Je länger er aber auf das Objekt schaut, desto häufiger ändert es sich in seinem Wesen.
Den Stein seine Form finden lassen
Das ist ganz im Sinne des Künstlers. Berthold Welter will keine bestehenden Formen nachahmen. Er lässt den Stein bei der Gestaltung seine eigene Form finden. „Ich fange an zu bearbeiten, ohne eine bestimmte Figur vor Augen zu haben“, erklärt er seine Vorgehensweise. Die handwerklichen Regeln kennt der gelernte Steinmetz und Steinbildhauer aus dem Effeff. Das ist notwendig, um den Stein bearbeiten zu können. Doch das, was sich aus dem Block herauskristallisieren möchte, überlässt Welter dem Stein selbst. Er setzt verschiedene Materialien in skurrile, manchmal bizarre, aber immer ästhetische Kombinationen. Dazu bohrt er eine Vielzahl von Löchern in den Stein, setzt Moniereisen ein und verbindet alles mit flüssigem Epoxidharz.
Unter dem 568-Loch-Stein liegen die 568 Teile, die Welter mit einem Wasserbohrer Stück für Stück aus dem Marmor gelöst hat, ohne das Wesen des Steins zu zerstören. Im Inneren des Lochwerkes zeigt sich eine bizarre Kraterlandschaft. Kugeln aus Stein sind gespickt mit Horn, Sandstein schlingt sich um Eisen. Eine Muschel – vielleicht ist es aber auch eine Amöbe – zeigt ihre gläsernen Zähne. Ein riesiger Brocken Muschelkalk ist gespickt mit roten Granitstücken. Der Bildhauer liebt das Arbeiten mit Abfallprodukten. Der rote Granit beispielsweise stammt aus einer ehemaligen Grabumrandung. Die verarbeiteten Geweihe und Hornteile hatten über einen kleinen Umweg zu ihm gefunden. In einer Senioreneinrichtung war ein Bewohner verstorben, der sein ganzes Zimmer mit alten Jagdtrophäen ausgestattet hatte.
Gestalten mit Abfallprodukten
Die Besucher sind von der Ausstellung begeistert. In kleinen Gruppen stehen sie mal im Atelier, mal draußen zusammen und diskutieren miteinander. Berthold Welter beantwortet unermüdlich eine Frage nach der anderen. Und dann findet sich ganz spontan eine kleine Tai-Chi-Gruppe zusammen und nutzt die Gelegenheit für eine kurze Übungseinheit auf der Wiese vorm Atelier.
Bis zum 23. August sind die Arbeiten in der Galerie Kirschey, Alexander-Coppel-Straße 22, jeden Donnerstag und Sonntag von 14 – 18 Uhr und nach Vereinbarung zu besichtigen.